Tod eines Flüchtlings hinter deutschen Gittern

■ Äthiopischer Abschiebehäftling beging in Würzburg Selbstmord / Pro Asyl: Der achte Suizid in Abschiebehaft / Bundestag debattierte über Haftbedingungen

Berlin (taz) – Abijou T. war kein Mann der großen Worte. Der Äthiopier galt als überaus schweigsam und verschlossen, vor allem seit er hinter deutschen Gittern saß. Kurz vor seinem Tod vertraute sich der 44jährige Abschiebehäftling aber einem Bekannten an: „Mein größter Fehler war“, gestand er verzweifelt, „daß ich in Deutschland Asyl beantragt habe.“ In Würzburg, wo er vergeblich um Schutz vor politischer Verfolgung nachsuchte, ist jetzt für ihn ein Armengrab reserviert.

Abijou T. hat sich vor zwei Wochen in einer Zelle der Würzburger Justizvollzugsanstalt das Leben genommen – nach fast sechs Monaten Abschiebehaft. Der Obduktionsbericht liegt zwar noch nicht vor, sagt der Leiter der JVA, Reinhardt Vogl. Alles deute aber darauf hin, daß er sich mit seinem Hemd am Fensterkreuz zu Tode stranguliert hat. Seine Frau Etissa, ebenfalls vor einem halben Jahr hinter Schloß und Riegel gebracht, erlitt nach den Worten Vogls einen Nervenzusammenbruch und mußte in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden.

Der Äthiopier ist nach Angaben der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl bereits der achte Ausländer, der seit der Verschärfung des Asylrechts im Juli 1993 Selbstmord in der Abschiebehaft begangen hat. Derzeit säßen rund 3.000 AusländerInnen zur Sicherung ihrer Abschiebung in Gefängnissen oder speziell eingerichteten „Hafthäusern“, „den finstersten Orten unseres Rechtsstaates“, so Heiko Kaufmann, Sprecher von Pro Asyl. Ihre psychische Situation sei nach oft monatelanger Haft von Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bestimmt.

Auch die Parteien im Bundestag haben gestern Kritik an den Zuständen in der Abschiebehaft geübt. In der Debatte über einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen räumten zwar Redner aller Fraktionen ein, abgelehnte Asylbewerber würden oft wie Kriminelle behandelt. In der Frage, wie der Staat auf die Mißstände reagieren sollte, schieden sich jedoch die Geister. Die Grünen verlangen, daß die Abschiebehaft auf drei Monate begrenzt wird. Die SPD will das Ausländergesetz nicht ändern, aber einige Vorschriften besser angewandt wissen. Die Bundesregierung verteidigte die Abschiebehaft als notwendige Maßnahme. Der Antrag der Grünen wurde an die Ausschüsse verwiesen.

In Würzburg schlägt der Fall Abijou T. derweil hohe Wellen: Ehrenamtliche Betreuer des Häftlings werfen Gefängnisdirektor Vogl vor, am Tod des Äthiopiers mitschuldig zu sein. Sie hätten Vogl in einem Brief gewarnt, daß Abijou T. Hand an sich legen könnte, berichtet ein Sprecher der Asylberatung von amnesty international in Würzburg. Vogl wiederum will davon nichts gewußt haben: „Sicher, der Mann war ein bißchen bedrückt“, räumt er ein, Hinweise auf eine Suizidgefährdung habe es aber nicht gegeben. „Der Fall ist für uns ein Rätsel“, sagt Vogl. Schulterzucken der Bürokraten gab es vor sechs Wochen auch im rheinland-pfälzischen Wittlich, nachdem sich in der dortigen JVA der algerische Abschiebehäftling Amar T. erhängt hatte – zwei Tage nach einer Zwangsvorführung in der algerischen Botschaft in Bonn. Ähnlich war es auch bei Abijou T., wie die Behörden in Würzburg jetzt kleinlaut einräumen. Fünf Tage vor dem Selbstmord sei das Paar in Handfesseln der Bonner Vertretung ihres Heimatlandes „vorgestellt“ worden, bestätigt Ulrich Tenzer, der als Ordnungsreferent für Ausländer- und Asylangelegenheiten zuständig ist. Dort habe Etissa T. die für die Abschiebung erforderlichen Heimreisedokumente unterschrieben, ihr Mann habe sich geweigert. „Er war wohl psychisch etwas angeschlagen“, meint Tenzer, der jetzt für die Witwe „Gnade vor Abschiebungsverfügung“ walten läßt. Nach dem „schlimmen Vorfall“ dürfe sie natürlich bleiben. „Es wäre unmenschlich, die Frau jetzt einfach abzuschieben.“ Frank Kempe