Sanssouci
: Vorschlag

■ The Hove Company im Theater am Halleschen Ufer

Es gibt ein Leben nach dem Theaterabend! Ein rettender Gedanke in manch harter Stunde, die man in dunklen Zuschauersälen erleiden muß – aber leider nur von begrenztem Nutzen. Denn während man im Gefühl seiner beruflichen Pflicht auf die Bühne starrt und alles für ein großes Mißverständnis hält, macht sich ein Phänomen breit, vor dem es keine Rettung gibt: der Zeitstillstand. Wenn man nach zwei Stunden auf die Uhr schaut und erst zehn Minuten vergangen sind, weiß man zumindest eines: Man sollte sich endlich eine Uhr mit Sekundenzeiger anschaffen.

Das hilft aber auch nicht viel weiter, wenn man „Hanging on“ ausgesetzt ist, einem Tanztheaterstück der Choreographin Gisela Müller, uraufgeführt am vergangenen Mittwoch im Theater am Halleschen Ufer. „Hanging on“ ist so verbissen und – obwohl es komisch sein will – so humorlos, daß es mehr über die Macher als über das gewählte Thema verrät. Über Menschen, „denen das Korsett der Normalität zum eigenen Leib geworden ist“, soll hier gehandelt werden, und irgendwie scheint über zuviel Korsett und Normalität der Choreographin die eigene Haltung abhanden gekommen zu sein. Durch übergroße Anstrengung, den normalen Spießbürger restlos seelenlos darzustellen, ist die Darstellung selbst seelenlos geworden, und das ist fatal.

Unbehagen, Lachen oder Spott: eine souveräne Position zu den gezeigten Verhältnissen gibt es an diesem Abend nicht zu sehen. Man hat sich den Dargestellten so anverwandelt, daß nichts eigenes mehr geblieben ist. Am ehesten hat sich noch Barbara Kryslova eine gewisse Distanz zur Rolle bewahrt. Statt Verbissenheit gibt es hier mehr als einmal einen angenehmen Anflug von Ironie. Auch die anderen Tänzer sind durchaus talentiert, doch das kann genausowenig weiterhelfen wie das gelungene Bühnenbild von Cecil Bouchier: Zwar ist die Metapher von an Seilen aufgehängten Menschen nicht schlecht und durchaus variationsreich vorgeführt – aber ohne jedes spielerische Moment, ohne einen Anflug von Anarchie, hinterläßt das nur einen schalen Geschmack und ist durch tänzerische Potenz nicht mehr zu retten.

Die Aufführung ist dem eigenen Kadavergehorsam zum Opfer gefallen, die bedauernswerten Tänzer baumeln vom Schnürboden herab oder lassen die Oberkörper über Drahtseile fallen, putzen mit überdimensional großen Zahnbürsten erst das eigene Gebiß und dann den Fußboden. Sie rasen sicher dreißigmal über die Bühne, von links nach rechts und von rechts nach links und wieder zurück, und tun es immer noch, als man schon lange an keine Wiederholung mehr glauben kann.

Als man schon fünfmal meinte, daß das Ende kurz bevorstehe, und als man schon längst zu denken aufgehört hat, geht dann tatsächlich das Licht aus. Müder Applaus. Man geht nach Hause und wundert sich, daß die Zeit so stillstehen kann. Michaela Schlagenwerth