Serienkiller oder kranker Hochstapler?

■ Für die Boulevardpresse ist klar: Thomas R. - der größte Massenmörder der Nachkriegsgeschichte / Ob er wirklich sieben Morde begangen hat, ist nicht geklärt / Serienkiller ein US-amerikanisches...

Ob sieben Morde oder zwei – die Freiheit wird Thomas R. nicht wiedererlangen. Der 34jährige Gelegenheitsarbeiter aus Hellersdorf war am Dienstag vergangener Woche verhaftet worden, weil er nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörde am 26. Februar 1995 den 53jährigen Eckhard T. mit einer Bierflasche erschlagen und anschließend in der Badewanne ertränkt haben soll. Zwei Tage später soll Thomas R. die 34jährige Gabriele P., eine Freundin seiner Lebensgefährtin, ermordet haben.

Unter dem Eindruck seiner Verhaftung gab er an, im Laufe der letzten zwölf Jahre sieben Morde begangen zu haben. Unter anderem gestand er, 1983 die 22jährige Susanne Matthes in Neukölln getötet und im Sandkasten eines Spielplatzes verscharrt zu haben. Ein Serienkiller oder ein geistesgestörter Hochstapler?

Das fast ausschließlich in den USA beheimatete Phänomen, möglichst viele Mitmenschen aus komischen Launen oder sexuellen Motiven heraus serienmäßig abzuschlachten, ist in Deutschland bislang eher selten festzustellen. FBI- Experten, die Dutzende von Studien über Serienkiller verfaßt haben, beschreiben diese Tätergruppe als eine, die in dieser extremen Form nur in den Vereinigten Staaten vorkommen könne. Die Mobilität der US-Amerikaner, ihre soziale Anonymität und das Fehlen einer polizeilichen Meldepflicht ermöglichten es den Massenmördern, nach ihren Taten jahrelang unentdeckt zu bleiben.

Dennoch gab es unter den rund 1.000 Morden, die in Deutschland jährlich verübt werden, auch den einen oder anderen Täter mit dem Hang zum Mehrfachkill.

Zwischen 1955 und 1976 beging der Duisburger Waschraumwärter Joachim Georg K. mindestens acht Sexualmorde an Kindern zwischen vier und dreizehn Jahren. Nachdem er die Leichen zerstückelt hatte, kochte und aß er Teile seiner Opfer. Im Jahr 1964 ermordete der Geistesgestörte Walter S. mit einem selbstgebastelten Flammenwerfer acht Kinder einer Kölner Volksschule und erstach anschließend noch zwei Lehrerinnen. Zwischen 1980 und 1983 tötete Michael W. aus Offenbach fünf Prostituierte. Ende der achtziger Jahre ereignete sich in Frankfurt eine Mordserie, bei der fünf Obdachlose und Homosexuelle in den Parkanlagen der Mainmetropole getötet wurden. Der fünfzigjährige Täter gab bei seiner Verhaftung an, daß er aus dem Jenseits zu seinen Taten getrieben worden sei.

Die spektakulärste Mordserie in der Umgebung von Berlin ereignete sich im brandenburgischen Beelitz, wo der ehemalige Polizist Wolfgang S. – von der Boulevardpresse zur „Bestie von Beelitz“ gemacht – sechs Frauen ermordete und sich an den Leichen verging.

Abgesehen von Fred R., der in den achtziger Jahren zwei norwegische Schülerinnen vergewaltigt und ermordet und später zwei weitere Taten eingeräumt hatte, waren derartige Massenmorde in Berlin lange nicht mehr vorgekommen. Ein Polizeisprecher: „Wenn sich herausstellt, daß Thomas R. die zugegebenen Morde wirklich begangen hat, ist das die größte Mordserie nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin.“

In mindestens einem Fall, zu dem der verdächtige Thomas R. ein Geständnis abgelegt hat, wurde bereits ein anderer als Täter verurteilt. Thomas R. – ein pathologischer Lügner, der, ohnehin des Mordes überführt, medienwirksam Tötungsdelikte gesteht, die er gar nicht begangen hat? Nach Auffassung der Behörden, die sich aus ermittlungstechnischen Gründen derzeit noch nicht näher äußern wollen, ist die Täterschaft des Mannes jedoch eher wahrscheinlich. Die Polizei untersucht zahlreiche unaufgeklärte Morde, um sie mit den Angaben des mutmaßlichen Serienmörders zu vergleichen.

Neben etwa dreißig unaufgeklärten Morden in der Stadt gibt es eine große Dunkelziffer. Möglicherweise sind viele Todesfälle gar nicht als Morde erkannt worden.

Eine Nachbarin hatte die Polizei auf die Spur des Gelegenheitsarbeiters gebracht. Ihr soll der „Irre“ schon immer suspekt gewesens sein, der im Alkoholrausch besonders gewalttätig aufgetreten sei und auch schon mal einer Hausbewohnerin das Nasenbein gebrochen habe.

Nach Auskunft von Angehörigen soll Thomas R. als eins von insgesamt sieben Geschwistern als Kind häufig mit einer Hundekette oder einem Gartenschlauch mißhandelt worden sein. Bereits als 16jähriger überfiel er eine alte Frau, wofür er zu zwei Jahren Jugendhaft verurteilt wurde. Später kam er dann wegen Vergewaltigung und Raub in den Knast. Erst 1994 war er aus der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik entlassen worden, wo er aufgrund seiner massiven Alkoholprobleme therapiert werden sollte.

Doch in der Regel sind Serienmörder, obwohl Leichen ihren Weg pflastern, eher unauffällig. Musterbeispiele perfekter Tarnung, werden sie von ihren Nachbarn meist als ruhige, freundliche Einzelgänger beschrieben. So soll auch der mutmaßliche Massenmörder Thomas R. neben seiner im Suff ausbrechenden Gewalttätigkeit eine eigenartige Sehnsucht nach der „heilen Welt“ gehabt haben. Er liebte deutsche Volksmusik und die TV-Serie „Schloß am Wörthersee“.

Was an den Geständnissen des Mannes dran ist, wollen die Beamten der Dritten Mordkommission bis Mitte der Woche herausgefunden haben. Für den kommenden Dienstag ist eine Pressekonferenz der Polizei geplant. Peter Lerch