■ Können PolizistInnen die Mitwirkung bei Abschiebungen unter Hinweis auf die Menschenwürde verweigern?
: Zivilcourage braucht Unterstützung!

Am 15. März wird der Abschiebestopp für Kurden aufgehoben. Mit diesem Termin müssen PolizistInnen angeordnete Abschiebungen von Kurden vollziehen. Für viele wird sich daraus kein Gewissenskonflikt ergeben, weil sie die Auffassung vertreten, keine Verantwortung zu tragen, da die Abschiebung in einem demokratischen Rechtsstaat angeordnet und von Gerichten geprüft würde. Dazu gehören auch die Beamten, die während eines Dienstunterrichts, in dem es darum ging, wie ein brennender Mensch zu löschen ist, und welche Gefahren bestehen, wenn ein brennender Mensch auf eine benzinbespritzte Polizistin zuläuft, dazwischen bemerkten: „Mit der Maschinenpistole reinhalten“, „Knie kaputtschießen“.

Andere PolizistInnen denken bei Abschiebungen an Verweigerung. Gewissensentscheidung im Einzelfall oder generelle Verweigerung bei gewaltsamen Abschiebungen. Doch Gewalt kann nicht das Kriterium der Verweigerung sein. Derjenige, der sich gewaltlos in sein Schicksal ergibt, kann in seinem Heimatland ebenso Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein wie derjenige, der sich der Abschiebung widersetzt. Andererseits kann die einzelne BeamtIn nicht das gesamte Verfahren überprüfen und überblicken.

Die faktische Abschaffung des Asylrechts hat bei liberal denkenden PolizistInnen die Frage aufgeworfen, wie sie sich bei Abschiebungen verhalten, durch die die Menschenwürde verletzt wird oder die Gefahr der Menschenrechtsverletzungen besteht. Die Gewissensentscheidung im Einzelfall wurde vielfach favorisiert. Die Situation der KurdInnen in der Türkei, die Verbote kurdischer Organisationen durch den Bundesinnenminister haben die Diskussion verändert. Vermehrt ziehen PolizistInnen die generelle Weigerung bei Abschiebungen von KurdInnen ins Kalkül. Gerade im Fall der Abschiebung von KurdInnen ist die Begründung der Verweigerung schwierig, weil die politische Lage in der Türkei von PolitikerInnen unterschiedlicher Couleur unterschiedlich einschätzt wird.

Die herrschende juristische Meinung lehnt die Weigerung aus Gewissensgründen ab. Im Grundgesetz würde die Menschenwürde über alle Gesetze gestellt. Dementsprechend verpflichten die Beamtengesetze die BeamtInnen, bei Verstößen gegen die Menschenwürde sich der Anordnung von Vorgesetzten zu verweigern. Verstößt die Anordnung nach Auffassung der BeamtIn „nur“ gegen geltende Gesetze, ist sie zu überprüfen. Menschenwürde hat im Beamtentum nicht den notwendigen Stellenwert, wie der Fall des Landauer Polizeibeamten Roland Schlosser zeigte. Roland Schlosser ließ einen Asylbewerber aus einer Arrestzelle frei, weil dessen Unterbringung menschenunwürdig war. Roland Schlosser wurde wegen Gefangenenbefreiung verurteilt. Das urteilende Gericht gab dem Verfassungsgehorsam gegenüber dem Gewissen den Vorrang. Roland Schlosser bewies die Zivilcourage, die für eine Gewissensentscheidung notwendig ist, auch wenn er die Menschenwürde differenzierte. Für zwei andere Asylbewerber, die sich in gleicher Situation befanden, sollte die Menschenwürde nicht gelten, nur weil sie bereits polizeilich in Erscheinung getreten waren.

Doch auch die eigene Menschenwürde hat im Beamtenapparat keinen Stellenwert. Von einem Polizisten wurde die Abschiebung eines „renitenten Schüblings“ verlangt, der zur Durchsetzung der Maßnahme über einen längeren Zeitraum den Schlagstock einsetzen „mußte“, was ihm lange Zeit ein schlechtes Gewissen bereitete. Die Anordnung einer derartigen Maßnahme verletzte nicht nur die Menschenwürde des abgelehnten Asylbewerbers, sondern auch die Menschenwürde des Polizisten. Es kann von niemandem verlangt werden, daß er zur Durchsetzung einer Verwaltungsmaßnahme über einen langen Zeitraum Gewalt anwendet.

Die heutige Abschiebepraxis macht es erforderlich, daß die BeamtInnen sich mit der Menschenrechtssituation in dem jeweiligen Land auseinandersetzen müssen. Für die Türkei steht fest, daß es in der gesamten Türkei Menschenrechtsverletzungen gibt. Die zweifelhafte Agitation der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Bundesrepublik kann nicht Grund sein, die Abschiebung von Kurden zu befürworten. Gerade im rechtskonservativen Lager wird hervorgehoben, daß jeder abgeschoben werden müsse, der als „Straftäter“ hervorgetreten sei. Für den bayerischen Innenminister Beckstein genügte die Einleitung eines Strafverfahrens, um die Abschiebung eines Kurden zu fordern. Wenn es danach geht, sind eine ganze Reihe von PolizeibeamtInnen ebenfalls Straftäter, die jedoch nicht von ihren Posten geschoben werden.

Prof. Norman Paech stellte in einem Gutachten zu den Verboten kurdischer Organisationen fest, daß den Kurden ein völkerrechtlich abgesichertes Widerstandsrecht zusteht, das notfalls auch gewaltsam durchgesetzt werden könne. Völkerrechtlich nicht abgesichert sind Anschläge gegen Zivilpersonen und zivile Objekte. Derartige Straftaten müssen verfolgt und geahndet werden. Letztendlich steht fest, daß Menschenrechte und Menschenwürde selbstverständlich auch für Straftäter gelten. Da insbesondere Kurden in der Türkei einer großen Gefahr der Verletzung von Menschenrechten ausgesetzt sind, dürfen keine Abschiebungen in die Türkei erfolgen.

PolizistInnen und alle beteiligten Menschen, die sich Abschiebungen verweigern, brauchen eine breite öffentliche und politische Unterstützung, damit ein entsprechendes Zeichen für Zivilcourage und Gewissensentscheidungen gesetzt wird. Jürgen Korell

Der Autor ist Polizeibeamter und Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten sowie Redakteur der Zeitschrift Unbequem