■ Nebensachen aus Warschau
: Polens neuste Minderheit

Nach Polens offizieller Statistik gibt es im ganzen Land ein Dutzend nationale Minderheiten, seit sich alle ganz offen dazu bekennen können, ohne Furcht vor Repressionen. Daran muß es liegen, daß nun auch eine weitere, statistisch bisher nicht erfaßte nationale Minderheit beschlossen hat, ans Licht der Öffentlichkeit zu treten. Waldemar Pawlak und seine Parteigenossen gehören der nationalen Minderheit der sogenannten chlopi an, was, wie Slawisten einwenden werden, schlicht „Bauern“ bedeutet. Doch ganz so einfach kann man sich die Sache nicht machen.

Schon ein kurzes Durchblättern der Grünen Standarte, des Organs der Bauernpartei, überzeugt uns von den grundlegenden Unterschieden zwischen einem polnischen chlop und einem europäischen Bauern. Der chlop nämlich wurde verfolgt, wird verfolgt und wird verfolgt werden – weil er ein chlop ist, und damit basta. Und wie es sich für eine ordentliche nationale Minderheit gehört, wird sie sich nicht assimilieren lassen. Bäuerliches Ehrenwort!

Polens Bauern wurden zu kommunistischen Zeiten verfolgt, nein, nicht weil sie sich der Kollektivierung widersetzten, sondern weil sie gezwungen waren, sich in einer Blockpartei zusammenzufinden und die führende Rolle einer anderen Partei anzuerkennen. Daran hat sich auch heute nichts geändert, und deshalb mußte Waldemar Pawlak schließlich seinen Premierministerhut an den Nagel hängen. Nicht weil er schlecht regierte, sondern wegen seiner Abstammung: Pawlak ist ein chlop.

„Ein bäuerlicher Premier ist zurückgetreten, weil es die Nachfahren jener Partei so wollten, die jahrhundertelang Polen regierte“, schrieb die Grüne Standarte auf ihrer ersten Seite. Welche Partei hat da so einen gewaltig langen Atem gehabt, daß sie Teilungen, Nazibesatzung und Stalinismus heil überstand? Wir wissen es auch nicht, aber eine Bauernpartei kann es nicht gewesen sein.

Nicht erst seit Pawlaks Machtverlust wälzen sich Polens bäuerliche Massen in Gestalt der Bauernpartei geradezu in Selbstmitleid. Daß die Bauernpartei jahrzehntelang kommunistische Blockflöte war, spielte für ihr Selbstverständnis nie eine Rolle. Daß sie nicht die erste Flöte spielte, wird dagegen inzwischen als Opfermythos kultiviert. So entstand die Selbstdefinition von den chlopi als nationaler Minderheit, die sich erst unter den Bedingungen der Demokratie hervorwagen kann, gehässig angefeindet von bauernfeindlichen Medien. Noch erscheint diese Selbstdefinition allenfalls zwischen den Zeilen, doch Zweifel bestehen nicht: Was immer der Bauernpartei zustößt, es stößt ihr zu, weil sie eine Bauernpartei ist.

Die Deutschen wurden ausgesiedelt, die Ukrainer umgesiedelt, die Bauern dagegen angesiedelt. Im Kommunismus wurden sie erst mit einer Landreform und der Verteilung des Großgrundbesitzes bestraft, dann damit, daß sie nicht alle in den neuerrichteten Staatskombinaten arbeiten durften, sondern weiter privat wirtschaften mußten. Auch die Marktwirtschaft unterdrückte sie rücksichtslos. Und jetzt seien endlich auch Entschädigungen für die chlopi fällig, heißt es im Organ der Bauernpartei. Kein Zweifel, die immerhin 38prozentige Minderheit der Bauern in Polen darf nicht länger diskriminiert werden. Höhere Erzeugerpreise, Schutzzölle, Billigkredite, bäuerliche Renten: die Regierung Pawlak, die bäuerliche, hat's vorgemacht. Sonst droht Polens größter nationaler Minderheit die Assimilation in der Marktwirtschaft. Doch zum Glück gibt es ja noch Pawlak und die Grüne Standarte, und die geben so schnell nicht auf. Dem Regime der Nichtbauern keinen Groschen und keinen Mann! Polen, eine freie Bauernrepublik! Klaus Bachmann