Das zähe Ringen um ein Alibi

Die 15 Regierungen der EU streiten in Brüssel ohne Aussicht auf Erfolg um eine Energiesteuer, damit sie zu Hause nicht handeln müssen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Ziemlich genau vor einem Jahr sah sich der Generaldirektor der Brüsseler Umweltabteilung bemüßigt, seine Mitarbeiter in einer Hauspostille darauf hinzuweisen, daß die europäische Ökosteuer entgegen anderslautenden Meldungen noch nicht tot sei. Seitdem ist eine Reihe neuer Vorschläge auf den Tisch gekommen, mit denen man die Kommissionstoilette tapezieren könnte. Von einem ernsthaften Ansatz ist die Europäische Union noch weit entfernt.

Es ist schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, daß die Diskussion um eine europäische Energiesteuer den nationalen Regierungen als Alibi dient, um sich das Thema zu Hause vom Hals zu halten. Gebetsmühlenhaft wiederholt beispielsweise Bundesumweltministerin Angela Merkel, daß eine Energiesteuer unbedingt nötig, aber nur auf europäischer Ebene möglich sei. Das hat auch ihr Vorgänger Klaus Töpfer in regelmäßigen Abständen gesagt. Die Argumente decken sich mit den Ansichten von Wirtschaftsführern wie etwa Mercedes-Chef Edzard Reuter: ein Alleingang würde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie untergraben. Studien, auch von wirtschaftsnahen Forschungsinstituten, nach denen eine Verteuerung der Energie bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten volkswirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile bringt, werden auf nationaler wie europäischer Ebene eifrig ignoriert.

Zur Zeit streiten die europäischen Kommissare in Brüssel über einen ganz neuen Vorschlag. Auf dem EU-Gipfel in Essen gaben die Staats- und Regierungschefs den Auftrag nach Brüssel, Leitlinien zu entwerfen, die es den Mitgliedsländern freistellen sollen, ob und wann sie eine Energiesteuer einführen wollen. Die Leitlinien sollen lediglich sicherstellen, daß die Mitgliedsländer, wenn sie denn mitziehen, einheitliche Energiesteuern erheben.

Von einer echten Ökosteuer war in der EU ohnehin nie die Rede. Bei der Senkung der Lohnnebenkosten lassen sich die Mitgliedsregierungen von der EU nicht dreinreden. Es geht also nur um eine bloße CO2- oder Energiesteuer, und selbst da scheinen die Widerstände unüberwindlich. Ärmere Länder, allen voran Griechenland, haben jeden Ansatz aus grundsätzlichen Erwägungen heraus blockiert. Griechenlands Industrie hinkt weit hinterher, Athen will deshalb seiner Wirtschaft keine zusätzlichen Kosten zumuten und argumentiert, daß die entwickelten Industrien der nördlichen EU-Staaten den Großteil des Drecks produzieren. Sie müßten sich deshalb zuerst einschränken, Griechenland habe da noch Nachholbedarf.

Als Athen vor einem Jahr turnusgemäß die Ratspräsidentschaft in der EU hatte, legte die Regierung einen Entwurf vor, der nicht nur die energieintensiven Branchen wie Stahl oder Chemie aus der Regelung ausnahm, sondern ganze Länder mit der Begründung freistellte, sie müßten sich erst noch wirtschaftlich entwickeln. Der neue Energiekommissar der Europäischen Union, der Grieche Christos Papoutisis, brachte bei seiner Vorstellung vor dem Europäischen Parlament das Kunststück fertig, gleichzeitig die Energiesteuer zu versprechen und Bemühungen anzukündigen, die Energie billiger zu machen.

Die Regierung in Paris will keine Energie-, sondern nur eine CO2-Steuer – was damit zusammenhängt, daß Frankreich drei Viertel seiner Elektrizität in Atomkraftwerken produziert. Die Diskussion läuft mittlerweile auf eine kombinierte Energie-CO2- Steuer hinaus, bei der Atomkraft etwas geringer besteuert würde als Kohle und Öl.

Großbritannien ist prinzipiell gegen jede Steuer, die aus Brüssel verschrieben wird, und hat schon einmal vorab klargemacht, daß es nur zustimmen wird, wenn die eigene Steuerhohheit gewahrt bleibt. Das bedeutet, daß nur Abgaben in Frage kommen, die von den nationalen Regierungen erhoben und die im Detail auch national festgelegt werden. London würde es am liebsten sehen, wenn keine einheitliche Energiesteuer eingeführt würde, sondern lediglich bestehende Verbrauchssteuern auf Benzin, Strom, Gas et cetera erhöht würden.

Die Leitlinien, über die die Kommission zur Zeit streitet, sollen nun alle diese Sonderwünsche berücksichtigen. Dabei geht es ohnehin nur um Pfennigbeträge, von denen selbst der frühere Umweltminister Töpfer überzeugt war, daß sie keine große Wirkung hätten. Alle bisherigen Entwürfe zeichneten eine langsam steigende Verteuerung der Energie vor, die im ersten Jahr beispielsweise für Erdöl sechs Mark pro Barrel (1 Barrel = 159 Liter) betragen und jährlich um zwei Mark bis auf insgesamt 20 Mark ansteigen sollte. Umgerechnet auf die Tankstelle würde der Liter Benzin am Anfang um 2,8 Pfennige teurer. Im Endstadium kostet er dann knapp 10 Pfennig mehr als heute. Zum Vergleich: Vor einem Jahr hob die deutsche Regierung mit Blick auf die Kosten der Vereinigung die Benzinsteuer um 18 Pfennige an.

Aber es wäre immerhin ein Einstieg, beteuern die Beamten des Bonner Umweltministeriums, eine allgemeine Anerkennung des Prinzips, daß Umweltpolitik auch Steuerpolitik sei. Unklar ist allerdings, warum die einzelnen Regierungen die Energiesteuer im Rahmen der gemeinsamen Leitlinien freiwillig einführen sollten, die sie unter dem Druck der Verhandlungen bisher verweigert haben. Die kombinierte Co2-Energiesteuer wird trotzdem kommen, prophezeit ein Mitarbeiter der deutschen EU- Vertretung, schließlich habe man sich beim Katalysator zusammengerauft, obwohl damals die Widerstände genausogroß und die Argumente ähnlich gewesen seien. Auf einen Zeitpunkt will er sich aber nicht festlegen: „In diesem Jahr nicht und im nächsten auch nicht, aber irgendwann danach.“