■ Die Anti-Raucher-Kampagnen in den USA werden immer erfolgreicher. Kneipen, Busse und Büros sind in vielen Staaten schon qualmfreie Zonen. Den Rauchern bleibt nur noch der Balkon und die offene Drogenszene...
: Die Abrüstung der Aschenbecher

Die Anti-Raucher-Kampagnen in den USA werden immer erfolgreicher. Kneipen, Busse und Büros sind in vielen

Staaten schon qualmfreie Zonen. Den Rauchern bleibt nur noch der Balkon und die offene Drogenszene auf der Straße.

Die Abrüstung der Aschenbecher

Seine königliche Hoheit wäre höchst zufrieden mit den ehemaligen Untertanen und heutigen Amerikanern. Vergebens hatte James II. vor über 300 Jahren von seinem Thron aus gegen jenes stinkende Kraut gewettert, das Reisende aus den Kolonien in Virginia zurück an den englischen Hof gebracht hatten – um es zu rauchen. „A custom loathsome to the eye, hateful to the nose, harmful to the brain, dangerous to the lungs“, zürnte der Monarch. Frei übersetzt: „Rauchen schadet Ihrer Gesundheit.“

Nur wollte damals niemand auf den König hören. Schon gar nicht die Siedler in der Neuen Welt, die sich bald darauf nicht nur vom Mutterland lossagten, sondern auch extensiv Tabak anpflanzten. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Zigarettenproduktion automatisiert. Es folgte die Erfindung der „Camel“-Packung und die Geburt des „Marlboro“-Cowboys, dessen Flair von Freiheit und Abenteuer mit jedem Zug eingesogen wird, bevor es sich in Rauch auflöst – damit die anderen auch was davon haben.

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde ein Suchtmittel so massenwirksam mystifiziert. Die Zigarette suggerierte Abenteuer, weckte Fernweh, machte sexy, symbolisierte Erfolg (und später Freizeitgenuß) und leistete ihren Beitrag zur zwischenmenschlichen Kommunikation – angefangen vom ritterlichen „Darf ich Ihnen Feuer geben“ bis zum rauh- herzlichen „Haste mal ne Zigarette“. Millionen von Beziehungskrisen wurden (und werden) während des Konsums einer oder mehrere Packungen ausdiskutiert; andere löst das Rauchen überhaupt erst aus. „Einen Raucher zu küssen ist wie einen Aschenbecher auszulecken.“ Wenn diese Worte gefallen sind, ist meist nichts mehr zu retten. Besser, man sagt gar nichts, was RaucherInnen wiederum leichter fällt. Schweigend zu rauchen hält man in unserem Kulturkreis aus irgendwelchen Gründen für weniger unhöflich als schweigend dazusitzen.

In den USA begann Mitte der sechziger Jahre der „Surgeon General“, der oberste Beamte im amerikanischen Gesundheitswesen, auszusprechen, was sich viele dachten: Es kann nicht gesund sein, sich einen nikotinhaltigen, mit Teer versetzten Stengel in den Mund zu stecken und die entstehenden Dämpfe zu inhalieren. 1965 mußten die Tabakkonzerne erstmals ihre Produkte mit einem Hinweis auf Gesundheitsrisiken versehen. In Washington, wo der Einfluß der Tabakindustrie bis dahin unangefochten war, tauchten die ersten Anti-Raucher-Organisationen auf, darunter „Action on Smoking and Health“.

Was sich am Anfang wie ein rührender Kampf Davids gegen Goliath ausnahm, ist, wie man weiß, zu einer landesweiten Basisbewegung geworden. 48 der 50 amerikanischen Bundesstaaten haben inzwischen – häufig auf Druck von Bürgerinitiaven in den Landkreisen und Städten – Gesetze verabschiedet, die das Rauchen in irgendeiner Weise reglementieren oder an bestimmten Orten verbieten. Lediglich in Kentucky, einer Hochburg der Zigarettenproduktion, und in Wyoming, wo Tabak eher gekaut als geraucht wird, gibt es keine staatlich verordneten Einschränkungen. Darüber hinaus, so schätzt Athena Mueller, Rechtsberaterin bei „Action on Smoking and Health“, „haben 60 bis 70 Prozent aller privaten Arbeitgeber in den USA Regelungen gegen das Rauchen erlassen“. Andere versuchen es mit Anreizen zum Abgewöhnen, etwa einer Woche zusätzlichen Urlaubs.

Ausgerechnet der Chemiekonzern „Dow Chemical“ zeigte sich als einer der ersten Arbeitgeber um die gute Luft am Arbeitsplatz besorgt. Nachdem die Firma die US-Armee im Vietnamkrieg mit Napalm versorgt hatte, startete sie den „I quit“-Wettbewerb („Ich höre auf“). Angestellte konnten in den frühen siebziger Jahren Preise vom Fernseher bis zum Segelboot gewinnen, wenn sie es schafften, sich das Rauchen abzugewöhnen.

Wer am wenigsten mit dem blauen Dunst in Berührung kommen möchte, ist am besten in den Staaten Kalifornien, Minnesota, Michigan, Massachussetts oder Vermont aufgehoben. In Vermont zum Beispiel ist das Rauchen in allen öffentlichen Gebäuden verboten, in Kalifornien an allen Arbeitsplätzen mit der Ausnahme von Bars. Das Rauchverbot als Arbeitsschutzmaßnahme durchzusetzen hat sich für Anti-Rauchergruppen und Gesundheitspolitiker als effektivster Weg erwiesen. Denn faktisch dürfen sich RaucherInnen nur noch unter freiem Himmel, im eigenen Auto oder in den eigenen vier Wänden eine Zigarette anzünden.

Diese Strategie erhielt einen enormen Legitimationsschub, als Wissenschaftler auch auf die Auswirkungen des Passivrauchens aufmerksam machten. Rund 400.000 Menschen sterben jährlich in den USA an den Folgen von Tabakkonsum – darunter Tausende, die in ihrem Leben nie einen Lungenzug getan, aber den Rauch ihrer Mitmenschen eingeatmet haben. Über die genaue Zahl wird gestritten, die Tabaklobby gibt den Zusammenhang zwischen Gesundheitsrisiken und Passivrauchen immer noch nicht zu. Doch die US- Umweltbehörde EPA deklarierte den blauen Dunst unlängst auch für Nichtraucher zum Krebserreger. Wer raucht – und das tun in den USA immer noch 46 Millionen Menschen, also etwa jeder fünfte – schadet nicht mehr nur seiner eigenen Gesundheit, sondern setzt sich auch dem kollektiven Vorwurf der Körperverletzung anderer aus.

Die Tabakindustrie selbst, allen voran die Marktgiganten „Philip Morris“, „RJR Reynolds“ und die „American Tobacco Company“, hat bislang eher Schaden am Image als in den Umsatzbüchern verzeichnen müssen. Bewußtsein über die Risiken des Rauchens, gepaart mit einer Gesundheits- und Fitneßobsession, findet man vor allem in der gehobenen Mittelschicht. In ärmeren Regionen und Schichten wird weiterhin gequalmt. Die Werbestrategen für „Marlboro“, „Lucky Strike“ oder „Virginia Slims“ geben sich auch deshalb zunehmend multikulturell und holen sich neue Kundschaft vor allem in Gegenden mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Afroamerikanern und Immigranten. Ungeahnte Profitmöglichkeiten ergeben sich zudem im Ausland, vor allem in Asien, wo Millionen von neuen RaucherInnen vorerst nur den Mythos sehen, aber nicht den Teer und das Kondensat.

Doch nun lauert in den USA auch eine ökonomische Gefahr für die Firmen. In Florida und Louisiana haben Gerichte sogenannte „class action lawsuits“ gegen Tabakkonzerne zugelassen – Zivilklagen, in denen sich aktive und passive RaucherInnen zu Gruppen zusammenschließen und die Konzerne auf Schadensersatz verklagen, weil diese jahrzehntelang die Suchtwirkung von Nikotin verschleiert oder geleugnet haben. Sollte sie Erfolg haben, kämen auf die Firmen Forderungen von bis zu 100 Milliarden Dollar zu.

Auch Bundesstaaten haben die Zigarettenhersteller vor den Kadi gezerrt: Minnesota, Florida, Mississippi und West Virginia wollen von Konzernen Milliardenbeträge erstattet haben, die sie im Rahmen der staatlichen Krankenversicherung „Medicaid“ für die Behandlung von Raucherbeinen, Lungen- und Kehlkopfkrebs oder Emphysemen ausgeben mußten. „Es wird Zeit“, erklärte Floridas Gouverneur Lawton Chiles, „daß die Tabakindustrie die Verantwortung für den Schaden übernimmt, den sie anrichtet.“ Andrea Böhm, Washington