Senat hat nichts als fromme Wünsche

Für das Berliner Energiekonzept wurden zahllose Möglichkeiten zusammengetragen, wie das Klima geschont werden kann, aber nichts ist verbindlich / „Luftschloß ohne Bodenhaftung“  ■ Von Christian Arns

Als erste deutsche Großstadt hat Berlin seit Dezember ein Energiekonzept. Das umfangreiche Dokument enthält zahlreiche Möglichkeiten, wie in der Stadt der Energieverbrauch gesenkt und dadurch das Klima geschont werden kann. Schließlich hat sich Berlin durch den Beitritt zum „Klimabündnis“ vor vier Jahren verpflichtet, den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2010 zu halbieren.

Doch daraus wird selbst nach Regierungsangaben nichts werden: Um 25 Prozent werde die Stadt die CO2-Emissionen mit dem Konzept senken, verspricht Volker Hassemer (CDU), Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Ohne neue Bundesgesetze oder europaweite Regelungen sei mehr nicht zu schaffen.

Kritiker glauben jedoch nicht einmal an das erste Viertel. „Ich bezweifle ernsthaft, daß das selbstgesteckte Ziel bis 2010 erreicht wird“, urteilte Hans-Joachim Ziesing, Energieexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), über das Energiekonzept. Bei einer Podiumsdiskussion des Berliner Umweltrats bemängelte er vor allem die unverbindlichen Formulierungen des Konzepts, das die Verwaltung auffordert, sie solle „prüfen“, „hinwirken“ und „Sorge tragen“. „Aber wie das geschehen soll und wann, das bleibt alles recht unklar“, so Ziesing, der bei den ersten Überlegungen zum Energiekonzept beteiligt war. „Die Realität weicht erheblich ab von der Idee.“

Konsens als Zauberformel gegen die Klima-Killer

Trotz der teilweise massiven Kritik, insbesondere von Greenpeace und dem „Netzwerk Klimabündnis“, zeigte sich Umweltstaatssekretär Lutz Wicke (CDU) zufrieden mit dem Konzept, das vom Senat kurz vor Weihnachten beschlossen worden ist. Er bezeichnete es als „realistisch, wenn auch nachbesserungsfähig“. Wichtig sei, daß die Landesregierung neben konkreten Energieeinsparungen im Bau, in öffentlichen Einrichtungen und der gewerblichen Wirtschaft beschlossen habe, das Energiebewußtsein der Bevölkerung zu sensibilisieren: „Dazu ist eine konzertierte Aktion erforderlich, in der ein breiter Konsens in der Stadt erreicht wird.“

Dabei ließ er erkennen, daß dieser Konsens innerhalb der schwarz-roten Regierung nur mit Mühe zu erreichen gewesen sei. Auch Senator Hassemer erklärte bei einer Veranstaltung der Bewag in Steglitz: „Ich verschweige nicht, daß einige Kollegen nur mit dem Verweis auf den anstehenden Klimagipfel dazu zu bewegen waren.“ Dabei sollte der Senat das Energiekonzept laut Beschluß des Abgeordnetenhauses eigentlich schon drei Jahre vorher vorlegen.

Nun sind, so will es das Energiekonzept, eine „Informationskampagne“, „zielgruppenspezifische Beratung“ und Mieterinformation geplant. Außerdem wird das Ostberliner Gasnetz saniert, das Fahrradstreckennetz ausgebaut und die Effizienz der Straßenbeleuchtung geprüft. „Das ist Trendpolitik, das ist wirklich nichts Zusätzliches“, so DIW-Experte Ziesing.

Möglichkeiten seien vor allem im Bausektor verschenkt worden, bemängeln Kritiker. Häuser, deren Modernisierung oder Instandsetzung öffentlich gefördert wird, sollen als „Zielwert“ einen Heizwärmebedarf von höchstens 70 Kilowattstunden pro Quadratmeter jährlich haben. „Dieser Höchstwert reicht nicht. Außerdem muß er wenigstens verbindlich festgelegt werden, nicht als Zielwert“, kritisiert Carsten Körnig von Greenpeace. Und da es keine Kontrollen am Bau gebe, sei ohnehin nicht damit zu rechnen, daß irgend jemand das Energiekonzept beachte. Das ist dem Senat keineswegs neu, denn das Forschungsinstitut Prognos hatte bereits vor gut einem Jahr im „Umsetzungsgutachten zum Energiekonzept Berlin“ vorgerechnet, daß die „Vollzugskontrolle“ sechs Millionen Mark im Jahr kosten würde. Im Doppelhaushalt taucht diese Summe aber wie zahlreiche andere Posten nirgends auf. Dabei hatte das Forschungsinstitut im Auftrag der Hassemer-Verwaltung errechnet, was nötig ist, um wenigstens die nunmehr angestrebte 25-Prozent-Minderung zu erreichen.

Ohnehin seien die im Energiekonzept aufgelisteten Posten für Energieeinsparungen kein Fortschritt gegenüber den Etats im alten Landeshaushalt, so Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. „In Bereichen wie der Fernwärmesanierung gibt es sogar Rückschläge.“ Das Energiekonzept sei ein „Luftschloß ohne Bodenhaftung“: „Der Flugverkehr ist gar nicht mitgerechnet, obwohl er eine Wachstumsbranche ist und 15 Prozent des verkehrsbedingten CO2-Ausstoßes verursacht.“ Beim Umweltrat kritisierte Berger außerdem, daß andere Treibhausgase wie Methan gar nicht erst berücksichtigt worden seien.

Ziesing forderte, daß sich Kritiker nun „nicht aus der Diskussion um das Energiekonzept ausklinken“ dürften. Vielmehr müßten sie einfordern, was das Papier bisher vage verspricht: „Vielleicht werden der erstaunten Öffentlichkeit zu Prüfungsaufträgen auch einmal Ergebnisse präsentiert.“