■ Besserer Klimaschutz durch „Joint Implementation“
: Wunderwaffe oder Nebelkerze?

In der aktuellen Klimadiskussion gibt es wohl kaum ein Thema, welches so umstritten ist wie das Instrument der „Gemeinsamen Umsetzung“, neudeutsch: Joint Implementation (JI). Das Grundkonzept erscheint einfach und bestechend: Wenn es zutrifft, daß es in einem Entwicklungsland oder in Osteuropa sehr viel billiger ist, eine Tonne Kohlendioxid (CO2) zu vermeiden, als in den entwickelten Industriestaaten, so sollten letztere doch Investitionen in den „armen Ländern“ tätigen und sich das als eigene Emissionsminderung anrechnen lassen. Daß mit Hilfe aus dem Norden auch im Osten oder Süden dringend Schritte zum Klimaschutz unternommen werden müssen, ist nicht neu. Neu ist, daß der Akteur aus dem Norden oder Westen sich die durch ihn vermiedenen Emissionen daheim anrechnen lassen kann (Kompensation).

Das Konzept erscheint jedoch nur auf den ersten Blick als effizient, unbürokratisch und elegant. Es hat neben einer ökonomisch- theoretischen eine aktuell-politische Dimension – es wäre naiv und gefährlich, dies zu ignorieren. Daher ist es unerläßlich, sowohl das Prinzip selbst als auch die politische Rolle der derzeitigen Diskussion um das Instrument zu bewerten. Zunächst ist die grundsätzliche Annahme zu hinterfragen, daß Kohlendioxidminderung im Süden und Osten wirklich immer preiswerter zu haben ist als im Norden und Westen. Zahllose Untersuchungen zeigen, daß die erste Stufe der Emissionsminderung (und um diese geht es vorerst in der Diskussion) im Westen und Norden nicht Kosten verursacht, sondern Kosten spart. Wer heute Energie spart, kann in der Regel mit einem Gewinn rechnen, die Vermeidung von Emissionen ergibt sich quasi nebenbei. Sollte es im Süden und Osten denn noch mehr zu verdienen geben? Die Antwort auf das Problem ist – wen wundert es – keine ökonomische. Die Umsetzung der Emissionsminderung im eigenen Lande ist im höchsten Maße unbequem – weil mit Veränderung verbunden. Die unternimmt man ungern – auch wenn zum Schluß ein Gewinn dabei herauskommen sollte.

Die wichtigste Frage hinsichtlich eines JI-Projekts ist die nach der Zusätzlichkeit der Emissionsminderung. Anrechenbar sollte eine im Ausland erbrachte Emissionsminderung doch nur dann sein, wenn sie zusätzlich erbracht wird. So stellt sich immer die selten schlüssig zu beantwortende Frage, ob ein Projekt nicht auch ohne JI umgesetzt worden wäre. Dieses Problem ist besonders brisant, denn die Minderung von Kohlendioxid-Emissionen kann nicht per Filter erledigt werden. Kohlendioxidminderung erfolgt immer als „Nebeneffekt“ eines anderen Prozesses – daß nämlich zum Beispiel in einem effizienteren Kraftwerk Strom erzeugt wird. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Es gibt doch einen Grund, warum in Rußland oder China keine hocheffizienten Kraftwerke gebaut werden. Sie sind bei den derzeitigen Energiepreisen einfach nicht zu refinanzieren. Würde man die Kosten für ein neues, hocheffizientes Kraftwerk aufteilen in solche, die aus eigener Kraft refinanziert werden könnten, und solche, die für die noch bessere Energieausnutzung, das heißt zusätzliche Kohlendioxidminderung notwendig werden, ergeben sich horrende Kosten der Emissionsminderung. Realistische Simulationsrechnungen für ein Kraftwerk in Rußland haben ergeben, daß je vermiedene Tonne Kohlendioxid zwischen fünfzig und hundert Mark aufgewendet werden müßten – eine Größenordnung, für die CO2-Minderung in Westeuropa allemal zu haben ist. Ein solches Kraftwerk würde also dort aus allen möglichen Motiven gebaut – nur nicht aus Gründen der Emissionsminderung. Viele praktische Diskussionen um konkrete JI-Projekte lassen vermuten, daß sich hier Akteure Gutschriften erteilen lassen wollen für Projekte, die sie in jedem Falle umgesetzt hätten. Um diese Trittbrettfahrer zu identifizieren, müßte eine riesige – und wohl letztlich kaum funktionierende Verifikationsbürokratie aufgebaut werden – ein „schlankes“ Instrument?

So ist es bezeichnend, daß in der theoretischen Diskussion um JI stets das ineffiziente Kraftwerk in Rußland oder China zitiert wird. Wenn es jedoch um konkrete und verifizierbare Projekte geht, fehlen Projektvorschläge für Kraftwerkprojekte in Rußland oder China regelmäßig. Interessant ist auch die Frage nach dem Typus von Projekten, die mit JI bevorzugt realisiert werden können. Es gibt zahlreiche Belege für die Annahme, daß aus Kostengründen letztendlich Großprojekte umgesetzt würden, die wenig angepaßt und teilweise kontraproduktiv sind. Wo eigentlich angepaßte Maßnahmen wie dezentrale Energieeinsparung vonnöten wäre, werden Großkraftwerke gebaut, um den steigenden Energiebedarf abzudecken – hier läßt sich die Kohlendioxideinsparung besser ermitteln und verifizieren. So werden Aufforstungsprogramme vorgeschlagen, die riesige Monokulturen mit allen bekannten Konsequenzen zur Folge haben. Nachhaltige Waldwirtschaft eignet sich wenig für den internationalen Kohlendioxid-Handel. Oder noch schlimmer: Da holzen japanische, amerikanische und kanadische Unternehmen in Sibirien riesige Waldflächen rücksichtslos ab – natürlich mit unglaublichen Gewinnen. Dann schlagen die USA Aufforstungsprojekte in Rußland vor, um sich das in den Wäldern gebundene Kohlendioxid als eigene Emissionsvermeidung anrechnen zu lassen. Die Liste der Beispiele ist beliebig erweiterbar. Das Kompensationsprinzip ist extrem anfällig für die Interpretation des Verursacherprinzips als Einbahnstraße.

Der durch breite Anwendung von JI verursachte „Drang ins Ausland“ hätte jedoch auch einen Innovationsstopp in vielen Industrieländern zur Folge. Insbesondere hinsichtlich der politischen Umsetzung von Klimaschutzpolitik sind ja die Erfahrungen in den westlichen Industriestaaten bisher keineswegs berückend. Wie sollen die mit einer großen Zahl anderer Probleme konfrontierten Entwicklungsländer mittelfristig dazu gebracht werden, Prioritäten ausgerechnet beim Klimaschutz zu setzen, wenn das Beispiel der Industriestaaten zeigt, daß dort die Bereitschaft zu Veränderungen, selbst angesichts ökonomischer Vorteile, nur sehr begrenzt vorhanden ist?

Viele Entwicklungsländer befürchten zudem die Substitution von anderen Formen des Nord- Süd-Transfers durch JI. In der Tat ist es beinahe zynisch zu nennen, wenn (von speziellen Ausnahmen abgesehen) besonders diejenigen Industriestaaten stimmgewaltig die fehlenden Ressourcen für die Emissionsminderung (Kapital, Technologie etc.) auf der Seite der Entwicklungsländer thematisieren, die auch nicht im entferntesten die Zielmarken für die allgemeine Entwicklungshilfe erreichen. Zur Erinnerung: In Rio wurde als Zielgröße für die Entwicklungshilfe ein Anteil von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts formuliert – Deutschland erreicht gerade mal die Hälfte.

Joint Implementation ist ein typisches Komplementärinstrument. Das heißt, es könnte – wenn es denn funktionieren würde – andere Instrumente flexibler machen. So könnte beispielsweise einem Unternehmen, welches im Ausland Emissionen vermeidet, eine eventuell existierende Kohlendioxid-Steuer im Umfang der vermiedenen Emissionen erlassen werden. Das Unternehmen hätte mit JI eine größere Zahl von Handlungsoptionen – wäre also flexibler. Das Problem besteht nur darin, daß im internationalen Raum bis heute weder diese primären Instrumente vorhanden sind noch eine verbindliche Einigung über Minderungsziele (und damit die Notwendigkeit von entsprechenden Instrumenten) in Sicht ist. Im Gegenteil, und das ist die leidvolle praktische Erfahrung des Autors in der Politikberatung, die Fata Morgana Joint Implementation (auf freiwilliger Basis natürlich und möglichst ohne jede Verifikationspflicht) torpediert das Zustandekommen jeglicher Verpflichtungen. Es ist sicher kein Zufall, daß besonders die Akteure, die angesichts einer nur von ferne angedrohten Ökosteuer von Strangulierung sprachen, zu den entschiedensten Verfechtern von internationaler Kompensation gehören – freiwillig natürlich.

Sicher ist es sinnvoll, Pilotprojekte zu organisieren und am konkreten Beispiel einmal den Nachweis der zusätzlichen Emissionsminderung auszuprobieren und Anrechnungsmodalitäten zu testen. Damit wird jedoch noch nicht der Nachweis erbracht werden können, wie und ob das Ganze in der Breitenanwendung funktionieren wird. Auch dazu wird man Erfahrungen sammeln müssen. Dies wird jedoch dauern. Bis dahin wird wahrscheinlich auf allen anderen Gebieten nichts passieren. Betrachtet man den unangemessen hohen Stellenwert der Diskussion um JI im Vergleich mit der um die aktuell nötigen Schritte und hat im Kopf, daß merkliche Beiträge zum Klimaschutz durch JI, wenn überhaupt, erst mittelfristig zu erwarten sind, dann wird man den Verdacht nicht los: Mit Joint Implementation wird derzeit ein Nebenschauplatz der Klimaschutzdiskussion eröffnet, von dem aus dann ausgiebig Nebelkerzen auf die wirklich wichtigen Aktionsfelder geworfen werden können. Felix Christian Matthes

arbeitet am Öko-Institut in Berlin