Kids zum Kaufrausch verführt!?

■ Fernsehwerbung und Kinder: eine neue Studie und eine Tagung mit hauptberuflichen Besorgnisträgern

Wo immer zwei bis drei Elternteile an einem Sandkasten beieinanderhocken, kommt der Plausch irgendwann unweigerlich auf das Konsumgebaren der lieben Kleinen und ihren (für die Haushaltskasse) ruinösen Markenfetischismus. Und ein Schuldiger ist meist auch schnell ausgemacht: Die böse Werbung ist's, die den unschuldigen Kreaturen ihre Produktnamen solange ins Hirn hämmert, bis Vati wieder mal entnervt die Brieftasche zückt, damit endlich Ruhe ist. Denn dem Junior womöglich Schaden zufügen, indem man ihn mit einer No-name-Jeans zum Gespött seiner MitschülerInnen macht – das möchte man schließlich auch nicht.

Nun ist die heimische Flimmerkiste beileibe nicht der einzige Ort, an dem Kids mit den frohen Botschaften der Industrie konfrontiert werden, aber nach einhelliger Meinung von Werbern und besorgten Pädagogen einer der wichtigsten. Grund genug für Nordrhein-Westfalens Landesanstalt für Rundfunk, eine umfangreiche Studie mit dem Titel „Kinder und Fernsehwerbung“ in Auftrag zu geben. Herausgekommen sind dabei zunächst einmal knapp 700 Seiten bedrucktes Papier und ein eintägiges Symposium, das letzte Woche in Düsseldorf über die Bühne ging.

Und da galt es, zunächst einmal frappierende Basisdaten zur Kenntnis zu nehmen. Demnach verfügen die knapp zehn Millionen Kinder im Alter zwischen drei und vierzehn Jahren hierzulande selbst über eine Geldmenge von immerhin 5,6 Milliarden Mark jährlich. Nimmt man hinzu, daß die Kleinen äußerst erfinderisch sind, wenn es darum geht, Erwachsenen durch fortwährende Quengelei das Geld aus der Tasche zu ziehen, läßt sich der umworbene Markt auf satte 17 Milliarden Mark hochrechnen. Mithin sind Kinder eine in ihrer Kaufkraft nicht zu unterschätzende Zielgruppe. Zumal die Kids im Gegensatz zu den Konsummuffeln im Rentenalter ja so überaus leicht zu verführen sind.

Des weiteren haben die Wissenschaftler herausgefunden, daß es mit der Kompetenz der Sprößlinge gegenüber den heimlichen Verführern nicht zum besten bestellt ist. Vielfach können sie Werbespots nicht von redaktionellen Programmen unterscheiden, und der Anteil derer, die in dieser Altersgruppe über Intention und Machart von Werbespots Bescheid wissen, liegt bei gerade mal 2,4 Prozent. Daraus resultiert zunächst die Forderung nach markanteren, auch akustischen Signets, die selbst den Kleinsten jenes „Vorsicht, Werbung!“ deutlich machen sollen.

Wenig Aussicht auf Erfolg dürfte hingegen die Forderung nach besonderen Schonzeiten haben. Vor dem Hintergrund, daß Kinder keineswegs vorwiegend Kinderprogramme sehen, regt die Studie besondere Werberestriktionen zu den Tageszeiten an, zu denen Kinder am häufigsten vor dem Bildschirm sitzen. Und das ist, wie die Einschaltquoten belegen, am Vorabend der Fall. Hier aber dürften selbst ARD und ZDF, die zu dieser Zeit an ihre Werbeeinnahmen herankommen, trotz aller Sorge um die lieben Kleinen Bedenken anmelden.

Darüber hinaus haben die Cleverles der Privatsender in der Vergangenheit noch immer Wege gefunden, neue Gesetzesauflagen zu umgehen. Als die Unterbrecherwerbung in Kindersendungen verboten wurde, machten sie einfach die Programme kürzer oder erklärten sie wie beispielweise Pro 7 bei „Fred Feuerstein“ (mit wissenschaftlichem Gutachten!) kurzerhand zu Sendungen für Erwachsene.

Und die von den privaten TV- Anbietern in Auftrag gegebene Gegenstudie zum Thema Kinder und Werbung dürfte auch nicht lange auf sich warten lassen. Da wird dann wissenschaftlich bewiesen werden, daß wissenschaftlich nichts bewiesen ist, wenn es um den Zusammenhang von Werbespots und Kaufverhalten geht. Und weil da auch schwer was zu beweisen ist, wird diese Relation von der Studie der Medienanstalt erst gar nicht untersucht.

So hatten auf dem Podium in Düsseldorf in erster Linie hauptberufliche Besorgnisträger ihren Auftritt. Doch aus den wenig konstruktiven Statements von Kinder- und Verbraucherschützern sprach in erster Linie der hehre Pädagogenglaube, daß Fernsehen grundsätzlich nichts für zarte Kinderseelen sei und Werbung sowieso vom Teufel komme. Mehr als der zu solchen Anlässen mit schöner Regelmäßigkeit formulierte Ruf nach einem Schulfach Medienpädagogik blieb da kaum.

Da sehnte man sich unwillkürlich nach einem Werbeprofi, der einmal schlicht und ergreifend demonstriert hätte, nach welchen Erkenntnissen und mit welchen Finessen Kinderwerbung inzwischen produziert wird. Überhaupt wurde man den Eindruck nicht los, daß die werbetreibende Industrie die jetzt von der Studie erhobenen Daten längst gesammelt hat. Und auch über den Zusammenhang von Werbung und realem Kaufverhalten dürften die Marketing-Fritzen einiges wissen.

Letztlich dürfte die nun von den Medienwächtern angeschobene Debatte ähnlich unersprießlich verlaufen wie die leidige Gewaltdiskussion. Und auch der Schluß bleibt wahrscheinlich derselbe: Kinder, die in einem sogenannten intakten Umfeld aufwachsen, werden nach einem Werbespot ebenso wenig spornstreichs ins Kaufhaus rennen, wie sie nach Gewaltszenen die erstbeste Oma überfallen. Kurzum, das Problem ist mal wieder gesamtgesellschaftlicher Natur und daher mit kosmetischer Chirurgie kaum zu beheben. Reinhard Lüke