■ Daumenkino
: Angels but not Angels

In zunehmend häßlicher werdenden Hochglanzreportagen scheint es, als sei im Osten mit dem Fall des Vorhangs auch gleich das Rotlicht angegangen. Die zu allem bereite Russin ist Focus ebenso eine Seite wert wie der Mädchenhändler aus Kiew. Zusammen mit den Berichten über die Mafia entsteht hier langsam aber sicher das Bild einer unaufhaltsam auf uns zu rollenden Barbarei mit prädemokratischen Sex- und Politikpraktiken.

Angels but not Angels befragt einen Haufen Kinder vom Bahnhof Prag, Jugendliche zwischen schätzungsweise 14 und 18, die dort Stricher sind. Im Gegensatz zu dem, was man in dieser Beziehung visuell so kennt, handelt es sich hier nicht um eine Sammlung von pickelblassen Halbtotalen vor besudelten Kachelwänden, sondern der Regisseur Wiktor Grodecki positioniert seine Protagonisten als Stars, für jene fünfzehn Minuten. Einer liegt wie eine Diva in einem Schaumbad und blickt einen ungerührt lasziv an, während er von seinen Freiern spricht; ein anderer ist nach Michael Jackson modelliert, trägt sich selbst aber viel schöner und eher in Richtung Vollweib; wieder einer lehrt einen das Gottserbarmen, weil er so blaß ist wie in die Städte gespülte Landkinder nun einmal werden, wenn sie erst mal gemerkt haben, wie der arme Hase läuft.

Das Grandiose an diesem Film ist, daß er zwar einerseits illustriert, wie sich das ökonomische Gefälle zwischen Freiern und Strichern in die sexuellen Praktiken umsetzt – immer wieder ist von der Frage die Rede, ob man sich von Deutschen, Bulgaren, Franzosen ficken läßt oder nicht, und wenn ja für wieviel. Aber darüber hinaus bedenken die Jungs, wie das Anschaffen ihnen mitunter erst zu einem Coming-out verholfen hat, was sie mögen, wie sie ihre Freier auswählen; was sie mit dem Geld gemacht haben, und was das Geld mit ihnen gemacht hat. In einer ersten Besprechung des Films während der Berlinale (taz vom 14.2.) hatten wir irrtümlich behauptet, die Protagonisten hätten nicht gewußt, daß der Film im tschechischen Fernsehen ausgestrahlt werden würde; und auch die behauptete Vertreibung der Szene vom Bahnhof hat offenbar nie stattgefunden. Unsere Informationen beruhten auf den Angaben eben jenes Michael-Jackson-look-alikes, dessen Haltung zum Film offenbar ebenso ambivalent ist wie die zur Prostitution überhaupt: Ist sie ein „Lifestyle“ oder eine von labbrigen alten Männern aus dem Westen importierte Geisel tschechischer Unschuld. Letzteres legt der Regisseur, der ansonsten erfreulich komplex montiert, nahe, wenn er etliche Aussagen mit Teilen der Johannes-Passion unterlegt. Viel konsequenter ist da doch der Zwischenschnitt klassischer männerpornographischer Pin-ups: Rotlicht wem Rotlicht gebührt. mn

Angels ..., Regie: Wiktor Grodecki