Keineswegs so still

Eine Sternschnuppe schießt vorbei – oder vielleicht auch nur eine Rakete: Dani Levys „Stille Nacht“, ein heftiger Liebesfilm, wird die Visitenkarte der x-Filmer, gedreht zur Zeit in Babelsberg. Ein Drehbericht  ■ Von Christiane Peitz

Nacht. Stille. Innen. Die Kamera soll schweben. Bitte einmal durch die gesamte Wohnung, vorbei am Krippenspiel im Pappkarton, durch den Flur bis ins Bad zum Weihnachtskarpfen in der Wanne. Die Türen öffnen sich von Geisterhand. Aber die Kamera schwebt nicht. Sie schwankt, ruckelt, stolpert, also bitte noch einmal. Es sind schon über zwanzig Takes. Dani Levy verliert die Geduld nicht. „Stille Nacht“ ist eine Premiere: Levys erster Studiodreh. Dafür hat die Produktionsfirma „x-filme“, eine Art ganz junger Filmverlag der Autoren (siehe taz vom 16. 2.), vom Filmboard Berlin-Brandenburg 1,5 Millionen Mark bekommen und seit Anfang Februar die Babelsberger Südhalle gemietet. „Stille Nacht“ ist das erste Projekt der x-Filmer, einer Art gaaanz jungem Filmverlag der Autoren, die den Klagen über die Krise des Kinos mit dem Wagemut einer United Artists Truppe der 90er Jahre trotzen wollen. Sie setzen auf unberechenbare und aktuelle Filme, auf Handschrift, Haltung, Leidenschaft. Levys Kollegen Tykwer („Die tödliche Maria“) und Becker („Kinderspiele“) arbeiten zur Zeit an einer Berlin-Story, die mitten in der wiedervereinigten Stadt spielt.

Das Gesamtbudget für „Stille Nacht“ beträgt 3,1 Millionen, unter anderem ist der WDR beteiligt. Levy: „Wir haben sämtliche Bauten nach Plänen von uns bei den Babelsbergern in Auftrag gegeben. Anders als beim Originaldreh bist du nicht darauf angewiesen, daß dir das Wohnzimmer gefällt, du aber die Küche und die Aussicht potthäßlich findest. Im Studio kombinierst du deine Idealküche mit dem Wohnzimmer und der Aussicht, wie du sie haben willst. Die kreativen Möglichkeiten sind viel größer als beim Originaldreh. Der Nachteil ist, daß die Lebendigkeit verlorengeht. Ein Originaldrehort bietet Widersprüche und eine Vielfalt, die du dir gar nicht ausdenken kannst. Dafür habe ich hier mehr Freiheit, aber die kostet Zeit. Für eine normale Ästhetik, sagen wir die eines Rudolf-Thome- Films, könnte ich auch hier schnell sein. Da ich aber einen Dani-Levy- Film drehe, der meistens sehr frickelig aufgelöst ist, der visuell sehr bewegt ist, mit komplizierten Fahrten und noch dazu im Cinemascope-Format, dauert es länger.“

Irgendwann schwebt die Kamera doch. Und dann liegt, jedenfalls in der Südhalle, Paris gleich neben Berlin. Maria Schrader steht als Malerin Julia in ihrer Berliner Penthouse-Küche, zündet sich nervös eine Zigarette nach der anderen an, telefoniert mit ihrem Lebensgefährten Christian (Mark Schlichter), der aus sentimentalen Gründen in ein Pariser Hotelzimmer geflüchtet ist, und wird dabei von ihrem derzeitigen Lover Frank (Jürgen Vogel) unentwegt angemacht und unterbrochen. Die drei kämpfen, intrigieren und tricksen, was das Zeug hält, eine keineswegs stille Nacht lang. Maria Schrader lacht und weint, schlingert zwischen Euphorie und Verzweiflung, flüstert und stammelt, gesteht, legt auf, ruft wieder an, nimmt mit blutigen Händen den Karpfen aus, hat Sex, im Bett, am Telefon, läßt sich ein Kochrezept durchsagen. Und im Fernsehen läuft Heinz Rühmann, wie alle Jahre. Schließlich ist Heiligabend.

„Stille Nacht“ wird ein riskanter Film. Hinter dem Titel verbirgt sich kein harmloser Weihnachtsschwank, sondern eine Beziehungskrise auf Leben und Tod. Ein schrilles Kammerstück über die Liebe und andere Grausamkeiten – und erotisches Kino dazu. Die Idee stammt von Schrader und Levy, nachdem Maria Schrader vor Jahren für ein Vorsprechen auf dem Theater Cocteaus Ein-Personen-Stück „La Voix Humaine“ für sich entdeckt hatte. Schrader: „,Stille Nacht‘ ist ein absoluter Schauspielerfilm. Es geht ganz konzentriert um drei Personen in einer Nacht, ähnlich wie etwa in ,Wer hat Angst vor Virginia Woolf‘, aber auf dieser kleinen Plattform – zwei Räume, ein Telefon – geht es trotzdem um alles.“ Das Drehbuch hat, nach den Vorgaben von Levy und Schrader, der Theaterautor Klaus Chatter geschrieben: keine verflixte Dreiecksgeschichte, eher ein tragikomischer Alptraum zum Fest der Liebe.

Die gewissermaßen eigenen vier Studiowände bieten für dieses waghalsige Unternehmen wenigstens ein bißchen Sicherheit: Das ungewöhnlich junge Team kann mehr riskieren, und das will es auch. Seine früheren Filme findet Dani Levy mittlerweile selbst zu prüde. „Die erotischen Situationen in ,Robbykallepaul‘ zum Beispiel haben wir immer elegant umschifft, mit Schlüsselloch-Perspektive und ähnlichen verkorksten Sachen. Diesmal habe ich gesagt: ,Laß es uns versuchen.‘ Unser Autor war zum Glück schamlos genug, nichts auszulassen. Auch Maria hat sich mutig und energisch dafür eingesetzt, daß man es nicht fernsehmäßig abschwächt und zeigt, was vorgeht, wenn Menschen sich lieben.“ Für Maria Schrader ist die Rolle einer von zwei Männern begehrten Frau ebenfalls eine Premiere. Komischerweise, stellt sie fest, hat sie bisher eher verschrobene Frauen gespielt, wie Fanny Fink in „Keiner liebt mich“ oder Silva in „I was on Mars“, die gar nicht so attraktive, junge Kinohauptdarstellerinnen sind. „Stille Nacht“, sagt sie, „ist mein erster wirklich erotischer Film.“ Sie hofft, daß er dem Trend deutscher Beziehungskomödien nicht entsprechen wird.

Filme wie „Frauen sind was Wunderbares“ oder „Abgeschminkt“ tun zwar so, als würden sie von ihrer Generation erzählen, aber Maria Schrader findet sich darin nicht wieder. „,Stille Nacht‘ wird sehr viel brachialer, explosiver und hoffentlich auch ein bißchen wahrer. Das Telefon ermöglicht es, daß man zwei Leute sieht, die einander zwar nicht begegnen, aber trotzdem ihre Sehnsüchte zeigen und ihre Gemeinheiten. So kann man Wahrheiten sehen, die sich gegenseitig ausschließen. Diese Widersprüche sieht man im Kino viel zu selten.“

Dienstagabend, Prenzlauer Berg, Ecke Dimitroffstraße/ Landsberger Allee. Doch noch ein Außendreh. Maria Schrader klettert das Gerüst einer Hochhausfassade hoch. Kurzärmelig, mit nackten Beinen, auf Strümpfen. Neben ihr klettert Jürgen Vogel, samt Weihnachtsbaum unterm Arm. Den hatten die Nachbarn aus dem Fenster geworfen, infolge eines Telefonstreichs von Frank, wem sonst. Maria Schrader, schon ziemlich weit oben, rutscht ab, fängt sich, klettert weiter. Die Szene ist in blaues Licht getaucht, drumherum Kamera- und Lichtkräne, Kabel, Monitore, Schienen. Unter der Kletterpartie sind ein paar hundert Pappkisten gestapelt, falls doch einer fällt. Pappe ist besser als Matten, sie gibt mehr nach.

Später, so steht es im Drehbuch, werden die beiden auf dem Gerüst sitzen, und eine Sternschnuppe wird fallen, aber vielleicht ist es auch nur eine Rakete. Es ist kalt hier draußen, bestimmt unter Null. Heute ist der letzte Drehtag. In Babelsberg werden Berlin und Paris schon wieder abgebaut. Vor zwei Wochen, bei der Küchenszene, setzte sich die Kamera in Bewegung, näherte sich Maria Schraders Gesicht, berührte es fast. Eingezwängt zwischen Kühlschrank, Tresen und Kameraauge konnte sie sich kaum mehr bewegen. Solche Nahaufnahmen ermöglichen eine andere Tiefenschärfe als die üblichen Close-Ups. Das Bild wird fast unerbittlich. Vielleicht wird daraus das Kinobild einer von der Liebe bedrängten Frau.