Energiekonsens der Experten

Neue Studie als Schützenhilfe für Gerhard Schröder vor Beginn der Energiekonsensgespräche  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – „Wir wünschen ihnen für die bevorstehenden Energiekonsensgespräche eine glückliche Hand“, sagte gestern Professor Gerd Michelsen, als er dem niedersächsischen Ministerpräsidenten das erste Exemplar einer Studie zur zukünftigen Energiepolitik überreichte. Das Gemeinschaftswerk dreier Professoren beweist, daß Klimaschutz auch ohne Atomkraft möglich ist. Auch bei einem Ende der Atomenergieerzeugung im Jahr 2010 läßt sich der bundesdeutsche CO2- Ausstoß um 38 Prozent reduzieren. Zudem könnten durch Ernergieeinsparung und alternative Energieerzeugung 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Programm ist schon der Titel, den die „Gruppe Energie 2010“ ihrer Studie gegeben hat: „Zukünftige Energiepolitik – Vorrang für rationelle Energienutzung und regenerative Energiequellen“. Auf Initiative von Gerhard Schröder und „in Abstimmung mit der Veba AG und der HEW“ hatte die Niedersächsische Energie-Agentur im vergangenen Frühjahr die Untersuchung bei den Professoren Günter Altner, Hans-Peter Dürr und Gerd Michelsen in Auftrag gegeben.

Mit Blick auf die wiederaufzunehmenden Energiekonsensgespräche sollten die drei altgedienten Kernenergiegegner „möglichst realistisch und für möglichst viele energiepolitische Akteure nachvollziehbar“ ausloten, welchen Beitrag die rationelle Energienutzung und die regenerativen Energiequellen bis zum Jahre 2010 zur Versorgung der Bundesrepublik leisten können. Es ging sozusagen auch um einen Energiekonsens auf Expertenebene.

Altner, Dürr und Michelsen haben in ihrer Studie zwei Zielperspektiven für den Mix von Energieeinsparung und Nutzung erneuerbarer Energiequellen für das Jahr 2010 erarbeitet. Bei der anspruchsvolleren Zielperspektive II, für die die Autoren entschieden plädieren, wird 2010 „keine Kernenergienutzung benötigt“. Gleichzeitig soll bis dahin der bundesdeutsche Ausstoß an CO2 um 553 Millionen Tonnen oder 38 Prozent gesunken sein. Damit wird die von der Bundesregierung angestrebte Kohlendioxidreduktion um 25 bis 30 Prozent noch einmal deutlich unterboten.

Die Studie stellt rationelle Energienutzung und die regenerativen Energiequellen ins Zentrum. In den bisherigen Energiekonsensgesprächen waren dagegen Kohle und Kernenergie gegeneinander ausspielt worden, und im Vergleich zu Kohlekraftwerken schneiden AKWs tatsächlich deutlich klimafreundlicher ab. Durch rationelle Energieumwandlung und -nutzung wollen die drei Gutachter den Endenergieverbrauch bis zum Jahre 2010 zwischen 15 Prozent (Zielwert I) und 22 Prozent (Zielwert II) reduzieren. Die regenerativen Energiequellen sollen zum geichen Zeitpunkt zwischen 5 Prozent (Wert I) und 7,5 Prozent (Wert II) des Primärenergieverbrauchs abdecken.

Dabei halten sich Gutachter bei Ihren Zielperspektiven konsequent an das heute bereits technisch Mögliche und ökonomisch Machbare. Ihre Vorschläge für eine rationelle Energieumwandlung und -nutzung reichen von der Raumheizung über bessere Haushaltselektrogeräte und spritsparendere Pkw bis zu einem gegenüber heute dreimal höherem Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung.

Den Anteil der regenerativen Energien am Primärenergieverbrauch wollen die Wissenschaftler gegenüber heute bis zum Jahre 2010 um das zweieinhalb- bis dreieinhalbfache erhöht sehen. Schon heute decken die regenerativen Energien immerhin zwei Prozent des gesamten Primärenergieverbrauchs ab. Dieser Wert soll auf 5 (Zielwert I) oder 7,5 Prozent (Zielwert II) steigen. Dafür wollen sie sowohl bereits technisch gut entwickelte, relativ preiswerte Technologien, wie Wasserkraft, Windenergie und organische Reststoffe, nutzen als auch Technologien, die weiterer „technischer und kostenseitiger Verbesserungen bedürfen wie solarthermische Kollektoren, Biogastechnik und Energiepflanzenanbau“. Die Photovoltaik hält die Gruppe in erster Linie für eine Langfristoption, in die allerdings bereits investiert werden müsse.

Das Gutachten berechnet auch die volkswirtschaftlichen Folgen ihrer Energieszenarios. Die Verwirklichung des anspruchsvolleren Zielwertes, der den Atomausstieg im Jahre 2010 möglich machen soll, würde am Ende jährlich Energiekosten zwischen 55 und 81 Milliarden Mark einsparen. Dem ständen dann zusätzliche Investitionskosten von jährlich 43 bis 64 Milliarden gegenüber. Gefördert werden sollen die nötigen Investitionen aus einer Energiesteuer. Insgesamt veranschlagt „Energie 2010“ die in den nächsten 15 Jahren notwendigen Fördermittel auf 30 bis 49 Milliarden Mark. Die technische Seite des Problems, sagte Professor Dürr gestern, „ist vergleichsweise trivial gegenüber den notwendigen gesellschaftlichen, den rechtlichen und sozialen Veränderungen“.