Kulturbahnhof als Kunstraum

■ Der Umbau des ehemaligen Hamburger Bahnhofs zum Museum für zeitgenössische Kunst ist weit fortgeschritten / Nach der Entlassung von Kustos Herzogenrath steht ein Ausstellungskonzept noch aus

Nein. Fotos vom fast fertiggestellten Innenraum des Museums lasse er nicht zu, sagt Josef Paul Kleihues. Und auf ein Porträt müsse der Fotograf auch verzichten. „Sie können ja ein Bild vom Kran machen“, lächelt er.

Schade. Die Angst des Perfektionisten vor den Bildern halbfertiger Hallen ist unbegründet. Bauen ist ein Prozeß. Und der ist vor Ort recht weit. Die Erweiterung des einstigen Hamburger Bahnhofs zum Museum für zeitgenössische Kunst hat feste Konturen angenommen. Im Schatten der Bauvorhaben entlang der Friedrichstraße und am Potsdamer Platz entwickelte sich seit 1992 der 100 Millionen Mark teure „Ausstellungsbahnhof“ leise, fast unmerklich weiter.

Parallel zur historischen Bahnhofshalle steht der lange, moderne Ausstellungsflügel, den Kleihues zum Teil mit einer kolossalen gußeisernen Fassade als Reminiszenz an die alten Bahnhofsbauten umgab. Das Innere der hohen Galerie deckt ein mattgläsernes Tonnendach, über dem Lamellen den Lichteinfall steuern können.

Die zusätzlichen Schauräume in dem bestehenden Seitenflügel an der Invalidenstraße befinden sich im Zustand des Rohbaus. Neue Betondecken sind eingezogen, künstliche Oberlichter probeweise installiert. Die Hallen werden zu den Treppenhäusern jeweils mit einer Glasfront abgeschlossen. Damit auch hier wenig Tageslicht in die Räume eindringen kann, erklärt Kleihues, sollen innere Schutzwände die Fensterseiten verstecken. Vor der hohen Hauptfassade ist geplant, eine bis auf das Niveau der Eingangshalle angehobene Terrasse anzulegen, die als Plattform für Skulpturen dienen kann.

Die alte große Abfahrtshalle ist nur wenig verändert. Nur zwei neue Treppenanlagen für RollstuhlfahrerInnen wurden angelegt. „Die Ausstellungsflächen“, sagt Kleihues, „sollen einmal als Raumfolge erlebbar werden.“ Die neue lichte Hülle für die zeitgenössische Kunst, die durch großzügige Raumhöhen sowohl für große Bildformate als auch für Environments geeignet ist, wird einmal – ab 1996 – mit rund 9.000 Quadratmeter Fläche zu einer räumlichen Einheit für die Besucher.

Die Entscheidung des Senats, dem Hamburger Bahnhof mit seiner strengen linearen Geometrie erst einen Ausstellungsflügel auf der Rückseite zu genehmigen und einen zweiten Trakt in Zeiten gefüllter Kassen nachzuliefern, tut der Symmetrie natürlich einen Abbruch.

Doch die Befürchtung, der geplante Hallenneubau könnte dem Mittelschiff der einstigen Verkehrskathedrale (und späteren Bau- und Verkehrsmuseum) auf den Pelz rücken, hat sich nicht bewahrheitet. Der moderne, schnittige Neubau biedert sich der klassizistischen Fassade mit ihrer preußischen Aura nicht an und geht auf Distanz zur alten Bausubstanz.

Ob das Museum einmal wirklich Schauraum für „zeitgenössische“ Kunst sein kann, bleibt nach dem Rauswurf des vorgesehenen Kustos und „Bahnhofsvorsteher“ Wulf Herzogenrath, der einen Kunstfahrplan mit den aktuellen Produzenten vorsah, weiter fraglich. Denn ein neues Ausstellungskonzept hat die Neue Nationalgalerie, zu der der Hamburger Bahnhof gehört, nicht vorgelegt. Man setzt auf das alte: die Hochkultur des Pop aus der Sammlung Erich Marx'. So entstehe, meinen Kritiker des Sammler-Papstes und seiner repräsentativen Allüren, eher ein „Kulturbahnhof“, der die „zeitgenössische“ Kunst (Kontext, Ethnos, Körper) auf das Abstellgleis schiebe. Statt dessen zögen die Marx-Bilder eine Künstlergeneration an, die wahrlich groß, aber bereits klassisch daherkomme: An der Bahnsteigkante stünden Warhol, Rauschenberg und Joseph Beuys, gefolgt von ein paar Giganten wie Donald Judd und Anselm Kiefer. Der Schnitt durch die Epoche der Popmoderne wird angesetzt mit eigenen Werken aus dem Depot der Neuen Nationalgalerie: Fotorealismus der siebziger Jahre, Minimal art oder die Strichmännchen von Penck.

Für Kleihues, der Architekt und Kunstsammler, ist das Museum ein Kunstraum, der mit den Kunstobjekten einmal kooperieren, aber auch konkurrieren will. Die Beleuchtung werde „gesetzt“, die Ausstellungshalle stilisiert, und die Galerie sei nach den idealen geometrischen Figuren konstruiert, erklärt er. Auch die Fassade ist eine Inszenierung, wo sich an den spitzen Stützen Licht und Schatten brechen. „Ein schönes Motiv“, grinst Kleihues. Aber noch nicht zum Fotografieren. Rolf Lautenschläger