Schlangenbeschwörer

Mit einem 85:79 (Hinspiel: 87:87) gewinnen die Basketballer von Alba Berlin gegen den großen Favoriten Stefanel Mailand den Korac-Cup  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Nichts gegen Freddie Mercury, aber es wird höchste Zeit, daß endlich mal wieder jemand eine Hymne, einen Song, eine Symphonie zur würdigen Zelebration bedeutsamer Sportsiege erfindet. „We are the champions“ jedenfalls ist durch inflationären Einsatz bei Pokal- und Meisterschaftsgewinnen von San Siro bis Barmbek-Uhlenhorst derart profanisiert, daß es sich für wahrhaft große Anlässe eigentlich von selbst verbietet. Und das durch Henry Maske der verdienten musikalischen Anonymität entrissene präkolumbianische „1492“ von Vangelis sollte ohnehin nur noch bei Monster-Truck- Rennen zum Einsatz kommen.

Nach dem Gewinn des europäischen Korac-Cups durch Alba Berlin wurden beide Melodien ausufernd dargeboten, aber den Spielern des siegreichen Teams war es egal, und den 8.600 Zuschauern in der Deutschlandhalle sowieso. Sie befinden sich befehlsgemäß im von den örtlichen Medien verordneten „Basketballfieber“ und erfüllten das marode Bauwerk mit einer Begeisterung, wie sie bei einem Sportereignis an gleicher Statt zuletzt vor zwanzig Jahren beobachtet wurde, als Herthas Fußballer beim Hallenturnier die Beckenbauer-Bayern veralberten. Trainer Svetislav Pesic, dessen goldenes Händchen, seit es nicht mehr Bälle in Körbe wirft, durchschnittliche Teams zu Meistern formt, strahlte ausnahmsweise, anstatt zu toben, Center Gunther Behnke ließ mit glasigem Triumphatorblick, champagnerdurchtränktem Oberkörper und exaltierter Gestik keinen Zweifel daran, daß dieses 85:79 gegen Stefanel Mailand den Höhepunkt seiner Karriere darstellte, und auch der Rest des Teams feierte ausgelassen und lautstark den bisher größten Erfolg einer deutschen Vereinsmannschaft.

Da spielte es kaum eine Rolle, daß der Korac-Cup der am wenigsten geschätzte europäische Wettbewerb ist und daß der von einer Unratbeseitigungsfirma finanzierte Berliner Klub auch ein wenig Glück hatte. Mailands sonstige Stützen Gregor Fucka und Davide Cantarello waren nicht fit, außerdem muß Stefanels Coach Bogdan Tanjevic, bewunderter Lehrmeister von Pesic, im Europacup auf einen zweiten Ausländer neben dem Serben Dejan Bodiroga verzichten. Der Amerikaner Kessler machte sich bald nach Saisonbeginn davon, sein Nachfolger Palmer ist im Korac-Cup nicht spielberechtigt.

Damit lastete alles auf Bodiroga und Nationalspieler Ferdinando Gentile. Letzterer erfüllte reichlich sein Soll, verblüffte in der ersten Halbzeit mit einer hundertprozentigen Trefferquote aus Zweipunktedistanz und hatte am Ende 29 Punkte auf dem Konto. Der 21jährige Bodiroga aber, der nach Expertenmeinung vor einer NBA- Karriere steht, kam nicht wie gewohnt zum Zug. „Er ist wie eine Schlange“, lobte Pesic seinen Landsmann, „läßt du ihn eine Sekunde aus den Augen, ist er weg.“ Henrik Rödl ließ ihn nicht aus den Augen. Wo Bodiroga auch hinschlängelte, Rödl war schon da und zwang den Serben zu Distanzwürfen, die oft fehlgingen. Die 13 Punkte des Serben waren einfach zu wenig, um den Cup nach dem 87:87 im Hinspiel mit nach Mailand nehmen zu können.

Svetislav Pesic hatte erheblich mehr Trümpfe zu bieten als sein Freund und Kollege Tanjevic. Da Sascha Obradovic längst nicht die große Form von Mailand erreichte, sprang Teoman Alibegovic in die Bresche. Mit einer phänomenalen Trefferquote von über 80 Prozent und insgesamt 34 Punkten sorgte der 2,05 Meter lange Slowene immer wieder dafür, daß Alba die Oberhand behielt. Hinzu kam Rödl, mit North Carolina einst US- College-Meister, der nicht nur glänzend verteidigte, sondern auch durch Spielwitz und Treffsicherheit (16 Punkte) überzeugte. Und als die Kräfte am Ende nachließen, machte sich plötzlich auch Gunther Behnke, der eine rabenschwarze erste Halbzeit gespielt hatte, bemerkbar. Zu Anfang hatte ihn der possierliche Davide Pessina durch einen Schubser mit geballter Leibesfülle, der den 2,21-Mann davonfliegen ließ, als sei er gegen einen Elefanten geprallt, nachhaltig eingeschüchtert. Doch Pessina mußte zehn Minuten vor Schluß mit fünf Fouls raus, und fortan holte Behnke Rebound nach Rebound, um sich jedesmal sogleich foulen zu lassen. Von den Freiwürfen verwandelte er exakt die Hälfte und lag damit immer noch über dem Alba-Durchschnitt, der in der zweiten Halbzeit 48 Prozent betrug.

Die Mailänder konnten jedoch keinen Nutzen aus der Berliner Freiwurfschwäche ziehen, zumal sie in der letzten Minute bei 79:83-Rückstand erstaunlicherweise auf Foulspiele verzichteten. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Fairness natürlich begrüßenswert, führte aber dazu, daß Alba in Ballbesitz blieb und den Sieg gemütlich unter Dach und Fach bringen konnte. Der beste Spieler, Teoman Alibegovic, setzte mit seinem letzten Korb den spektakulären Schlußpunkt.

Alba Berlin, der einzige Verein, dessen Fans in Müllsäcken stecken, hatte es damit geschafft, sein seit vielen Jahren angestrebtes Ziel zu erreichen: das Vordringen in die europäische Spitze. Nächstes Vorhaben ist der Einbruch in die nationale Domäne von Bayer Leverkusen, sprich: die Meisterschaft, und mit etwas Glück dürfen die „Albatrosse“, wie sie sich werbewirksam nennen, im nächsten Jahr sogar in der Europaliga mitfliegen, wo die Gegner allerdings von anderer Qualität sein werden als im Korac- Cup. Auch wenn es Manager Marco Baldi gelingt, das Team zusammenzuhalten und womöglich noch zu verstärken, eines wird es dann mit Sicherheit nicht geben: „We are the champions“.