Die Angst, nicht angstfrei zu lernen

■ betr.: Beilage „Anthroposophie“, taz vom 11./12. 3. 95

Was treibt uns Menschen eigentlich immer wieder zu der Meinung, wir könnten uns durch Abgrenzung, Verdrängung, Ignorierung oder sogar Verleugnung der Bedürfnisse anderer Individuen sicher fühlen? Wann begreifen wir endlich, daß wir Angst nur durch Verständnis und Erklärungen dessen, was uns Angst macht, entgegenwirken können? Wir Menschen unterscheiden uns im Denken und Verhalten weder durch das Geschlecht noch durch die Hautfarbe oder Herkunft. Unterschiede kommen zustande durch unterschiedliche Handhabung anerzogener Ängste. Ängste, erfahren in den ersten Kindheitsjahren, schaffen unsere Lebensmeinung, die unsere Empfindungswelt ausmacht. Bestückt mit einem Minimum an Selbstbewußtsein, stehen wir als Heranwachsende der bösen, bösen Welt mit all seinen bösen Bewohnern gegenüber. Unsere Bedürfnisse, Lebenstrieb eines jeden Lebewesens, reduzieren sich durch Unsicherheit und Angst, bestehen nur noch aus Sicherheitsdenken und Vorurteilen.

Eine Befriedigung unserer Bedürfnisse ist ausgeschlossen, weil wir uns ihrer nicht sicher sind. Unschuldig an unserem Versagen, geraten wir von einem Extrem in das nächste. Solange wir selbst nicht erkennen wollen, daß Ängste unser Verhalten beeinflussen, als Individuum ebenso wie als Gemeinschaft, sind auch die von uns geschaffenen Schul- und Lernformen ein Produkt unserer unsicheren Lebensmeinung.

Wir sollten zusätzlich Schulen schaffen, in denen wir lernen sollten, wie wir mit den Fehlern unserer Erzieher umgehen könnten. Wenn wir durch unser Vorleben unseren Kindern zeigen, wie wir uns unserer Verantwortung als Individuum durch die Flucht in politische oder religiöse Ideen entziehen, können wir in ihrem Lebensweg auch nur die Flucht als Bedürfnis erkennen. Ideen sind gut, und wir brauchen sie, aber wir sollten uns nicht von ihnen abhängig machen, als Politik- oder Religionsjunkies. Dieter Staas-Holtkamp, Willich