Chinas Volkskongreß müpft etwas auf

Von Li Peng vorgeschlagene Vize-Minister erhalten erstaunlich wenig Unterstützung / Qiao Shi stärkt Rolle des „Parlaments“ und schafft sich eine Basis für künftige Fraktionskämpfe  ■ Aus Peking Sheila Tefft

Die Delegierten des chinesischen Volkskongresses haben sich gestern ungewöhnlich widerständig gezeigt. Zwei von Ministerpräsident Li Peng vorgeschlagene Kandidaten für das Amt des Vize- Ministers erhielten die niedrigsten Stimmenzahl in der Geschichte des Volkskongresses. So konnte der ehemaligen Parteichef der Provinz Shandong, Jiang Chunyun, nur 63 Prozent der Stimmen der 2.752 anwesenden Abgeordneten erzielen. Der 64jährige sei zu alt und inkompetent und habe überdies keinen Hochschulabschluß, schimpften einige TeilnehmerInnen des Kongresses.

Auch der ehemalige Shanghaier Parteichef Wu Bangguo bekam nicht mehr als 86 Prozent der Stimmen. Bislang konnte die Regierung stets damit rechnen, daß ihre Personalvorschläge mit weitaus deutlicherem Beifall angenommen werden. Wu, der wie Jiang Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei ist und der zur „Schanghai-Clique“ um Parteichef Jiang Zemin gezählt wird, legte nach seiner Wahl das normalerweise nicht übliche Gelöbnis ab, sein Amt ehrenhaft zu führen.

Ungewöhnlich lebhaft sollen die Debatten während der diesjährigen Sitzung des chinesischen Volkskongesses gewesen sein, berichten Teilnehmer. Das nominelle Gesetzgebungsorgan mit seinen fast 3.000 handverlesenen Abgeordneten gilt weithin als machtlos und der KP völlig untergeordnet. Der Volkskongreß hat die formale Aufgabe, den Staatshaushalt, Rechenschaftsberichte der Regierung, Gesetzesvorlagen und die Besetzung der obersten Staatsämter abzusegnen. Bislang hat er noch niemals eine Vorlage abgelehnt.

Aber seitdem Qiao Shi – ehemaliger Sicherheitschef und undurchsichtigster der Politiker in der chinesischen Führung – vor zwei Jahren sein Amt antrat, hat der Volkskongreß Profil gewonnen. „In China hat die Existenz von Gesetzen bislang nicht zur Entstehung von Rechtsstaatlichkeit geführt“, kommentiert ein westlicher Jurist mit langjährigen Erfahrungen in China. „Doch die gesetzliche Formulierung von Rechten und Pflichten im Wirtschaftsleben ist ein erster Schritt zur – langfristig notwendigen – Definition der Rechte und Pflichten der Bürger und der Regierung.“ Qiao stärke das Gewicht des Parlaments und dessen gesetzgeberische Rolle auch im eigenem Interesse, heißt es in Peking, als Vehikel für seine eigenen politischen Ambitionen.

In dem Maße, da die chinesischen Provinzen mehr Autonomie gewinnen, müssen sich die Politiker in der Pekinger Zentrale mit einem neuen Typ selbstbewußter und durchsetzungsfähiger Lokal- und Provinzpolitiker auseinandersetzen.

Offenbar kam es in diesem Jahr mehrfach bei den Sitzungen hinter verschlossenen Türen zu hitzigen Auseinandersetzungen darüber, wie das rapide Wirtschaftswachstum und die stark steigende Inflation in den Griff zu bekommen sind. Das gerade vom NVK bestätigte neue Bildungsgesetz räumt dem Volkskongreß ein gewisses Mitspracherecht bei der Zuweisung der Bildungsausgaben ein.

In der Debatte über ein neues Zentralbankgesetz stritten sich die Abgeordneten darüber, ob die Kontrolle des Vorstands der chinesischen Zentralbank, der die Geldpolitik der Bank festlegt, beim Volkskongreß oder beim Staatsrat – dem chinesischen Kabinett – liegen soll. Ihre wachsende Eigenständigkeit haben die Abgeordneten auch mit der Vorlage eines Polizei- und Gefängnisgesetzes demonstriert, und mit Gesetzesinitiativen zum Bankrott maroder Staatsbetriebe.

„Es ist immer besser, Gesetze zu haben, als sie nicht zu haben. Es ist besser, Gesetze schnell zu entwerfen, als langsam“, sagte Qiao ganz im Sprachduktus Deng Xiaopings kürzlich. „Einige alte Gesetze passen nicht mehr zur Entwicklung der sozialistischen Marktwirtschaft. Wir müssen sie sorgfältig durchforsten, entstauben und dann entweder revidieren oder ganz aufgeben.“ Obwohl das Recht in China heute stärker verankert ist als zu Zeiten Maos und dessen Herrschaft per Weisung, ist das politische System immer noch von der persönlichen Willkür der Parteiführer bestimmt.

Qiao, Mitglied des allmächtigen Ständigen Komitees im Politbüro der Kommunistischen Partei, baut die Stellung des Volkskongresses als einflußreiches Gesetzgebungsorgan offenbar auf Anweisung von Deng aus. Als das Ständige Komitee des Politbüros während der Proteste im Mai 1989 über die Verhängung des Kriegsrechts abstimmte, soll Qiao sich enthalten haben, heißt es. Dann aber organisierte er die brutale Repression der Demokratiebewegung.