„Dann gehen wir eben ins Ausland“

■ Elf Verfahren gegen Chef der französischen Elektronikfirma Alcatel-Alsthom

Paris (taz) – Das Lächeln des eleganten Mittsechzigers wird von Tag zu Tag eisiger. Das beweisen die Fotografen, die den Präsidenten von Frankreichs drittgrößter Industriegruppe und weltweit größtem Elektronikhersteller Alcatel-Alsthom auf allen Wegen zwischen seiner Wohnung und den immer zahlreicher werdenden Rendezvous mit dem Richter verfolgen. Ein Kameramann zog sich gar Schläge von Pierre Suard zu, dem französischen Spitzenmanager, gegen den nicht weniger als elf Untersuchungsverfahren laufen und der seit Anfang der Woche unter ständiger Jusitizaufsicht steht.

Die Belastungen gegen Suard wiegen schwer: Betrug, Unterschlagung und Bestechung – zum Beispiel überhöhte Rechnungen an die France Telecom und illegale Parteienfinanzierung. Auch versucht der Richter herauszufinden, woher die 50 Millionen Franc (14,5 Mio. DM) kamen, mit denen Suard 1991 seine noble Bleibe im Pariser Vorort Neuilly erwarb, und auf welche Weise eine einst Alcatel gehörende Villa mit Seeufer in Suards persönlichen Besitz geriet.

Die Gruppe Alcatel-Alsthom produziert so ziemlich alles, was mit Telekommunikation, Kabelfernsehen und Hochgeschwindigkeitszügen zu tun hat, und sie besitzt die Wochenzeitungen L' Express und Le Point. In der Zentrale der Gruppe mit einem Jahresumsatz von zuletzt 160 Milliarden Franc (47 Mrd. DM) herrscht Panik. Bereits vergangenen Freitag zog die Firma ihre Aktien von den Börsen in New York und Paris zurück. Die Alcatel-Angestellten stehen hinter ihrem Chef. In einem offenen Brief an den französischen Justizminister haben 50.000 Beschäftigte, die Anteile am Unternehmen besitzen, gegen den Ablauf der Ermittlungen protestiert.

Im Verwaltungsrat der Firma sind nicht nur die Spitzen der französischen Finanz vertreten, von denen die meisten Suard bereits von der Eliteschule kennen, sondern auch Fiat-Generaldirektor Cesare Romiti, gegen den in Italien wegen der Bilanzierungspraktiken bei Fiat ermittelt wird, und Rand Araskog, der Präsident der US-amerikanischen Gruppe ITT, die sechs Prozent der Alcatel-Alsthom-Aktien hält. Letzterem ist zu verdanken, daß überhaupt etwas über die Geheimsitzungen an die Öffentlichkeit geriet. Der Amerikaner zeigt wenig Verständnis für seine französischen Kollegen, die es bislang nicht für nötig hielten, ihren Präsidenten zumindest für die Zeit der Ermitlungsverfahren vom Dienst zu suspendieren. Während die französischen Verwaltungsratsmitglieder zur Ansicht neigen, daß die Justiz für die Kapitalverluste ihrer Gruppe verantwortlich sei, kritisiert Araskog Suard selbst (Monatsgehalt: 1 Million Franc) ob der jüngsten Verluste.

Suard ist in die Gegenoffensive gegangen. In einem langen Fernsehinterview sprach er von einer „Destabilisierungskampagne“, die „ausschließlich dem Ausland“ nutze. In der Tageszeitung Le Figaro drohte er gestern damit, den Hauptsitz der Gruppe, die weltweit rund 200.000 Menschen beschäftigt, ins Ausland zu verlegen. Dorothea Hahn