Trotz monatelanger Beratung konnte sich die Jury für das Berliner Holocaust-Denkmal nicht einigen – sie vergab zwei erste Preise: Stahl auf Doppel-T-Trägern versus Betonplatte mit eingravierten Namen Von Harald Fricke und Rolf Lautenschläger

Die Schwere des Materials

Noch ist die Fläche am Brandenburger Tor, wo den ermordeten europäischen Juden nun ein Denkmal gesetzt werden soll, ein terrain vague. Wo bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Hitlers Neue Reichskanzlei stand – „jene Befehlszentrale des Nazi-Terrors und Ausgangspunkt der Judenvernichtung“, wie Lea Rosh, Publizistin und Initiatorin des Holocaust- Denkmals, nicht müde wird zu erinnern –, trennt heute eine dünne Sandschicht Gegenwart von Vergangenheit. Zwischen dem Brandeburger Tor und dem Potsdamer Platz hat der einstige Todesstreifen alle Bauten abgeräumt, darunter liegen aber noch die Reste des Nazi-Reichs: Bunker von Hitlers Leibstandarte und Verbindungsstollen.

Fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und fünf Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Topographie der Ödnis zwar wieder definiert: Am Ort der Täter wird der jüdischen Opfer gedacht werden. Konsens über das zentrale Denkmal auf 20.000 Quadratmeter Fläche am Rand der früheren Ministergärten indessen gibt es nicht. Nach fünf Tagen Beratung entschied gestern die 15köpfige Jury aus Künstlern, Architekten, Historikern und Politikern, zwei erste Preise im „Künstlerischen Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ zu vergeben.

Der Kölner Künstler Simon Ungers, Sohn des Architekten Oswald Mathias Ungers, sowie die Berliner Architekten- und Künstlergruppe mit Christine Jackobs- Marks, Hella Rolfes, Hans Scheib und Reinhard Stange wurden zu Gewinnern gekürt. Acht weitere aus dem Feld von 528 Teilnehmern erhielten Auszeichnungen. Unentschiedenheit der Jury? Feigheit vor dem politischen und ästhetischen Bekenntnis? Kaum. Eher „die Tatsache, daß zwei erste Preise den schwierigen Diskurs charakterisieren, ein Symbol, ein nationales Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu finden“, wie Berlins Bausenator Wolfgang Nagel sagte. Walter Jens, Präsident der Akademie der Künste und Juryvorsitzender, formulierte es anders: „Dem Massenmord mit einer ästhetischen Lösung nachzukommen geht nicht.“

Keine harmonische Einpassung ins Stadtbild

Vergleicht man die beiden preisgekrönten Entwürfe, fällt auf, daß die Berliner Künstler einen präziseren „Ort der Besinnung und des Bedenkens“, so Jens, schufen als Ungers. Nach ihrem Entwurf ist geplant, eine fast 100 x 100 Meter große begehbare Steinplatte schräg aus dem Boden wachsen zu lassen. „Die Nähe zur Reichskanzlei“, so die Künstler, „läßt eine harmonische Einpassung in das städtische Umfeld nicht zu, darum ragt die Platte schräg aus dem Boden. Einer jüdischen Gewohnheit folgend, Steine auf Grabplatten zu legen als Zeichen des Gedenkens, liegen auf dieser Tafel 18 gebrochene Steine in drei bis vier Meter Höhe.“ Die sieben Meter dicke Tafel besteht aus einer Stahlunterkonstruktion sowie Beton, der geschliffen und anthrazit gefärbt ist. In diese Totenstätte sollen im Lauf der Zeit die Namen der Ermordeten eingeritzt werden. Auf dieser Fläche – Totenstätte und steinerne Wüste zugleich – soll, so könnte man interpretieren, das Böse keine Wurzeln mehr fassen können.

Der Entwurf von Simon Ungers sieht für die Fläche entlang der Friedrich-Ebert-Straße eine abgetrennte Binnensituation des Gedenkens vor. Als äußere Umgrenzung ist eine 85 x 85 Meter große Stahlskulptur aus sechs Meter hohen Doppel-T-Trägern geplant, die an den Ecken auf vier Betonblöcken liegen. Diese Umwandung wird mit den ausgestanzten Namen der Vernichtungslager versehen.

Im Inneren findet sich eine Betonplattform, die über eine Treppe erreichbar ist. Auf dem Weg müssen die Besucher unter der gewaltigen Last der Stahlträger hindurchgehen. Während von diesem Plateau aus die Namen der Lager zu lesen sind, erscheinen sie von außen spiegelbildlich und unlesbar. Dadurch entsteht eine Dialektik zwischen außen und innen. Den Besuchern werde so freigestellt, sich „mit den Opfern oder mit der Schuld zu identifizieren“, sagte der Juryvorsitzende Walter Jens in der Begründung.

Ein Großteil der dotierten Vorschläge hat sich darum bemüht, den Ausmaßen des Platzes die Schwere des Materials entgegenzusetzen. Der Münchner Bildhauer Fritz Koenig etwa wurde für seine komplexe Stahl-und-Beton- Konstruktion mit dem dritten Preis ausgezeichnet. Sein Entwurf sieht einen mit Stahlwänden umschlossenen Innenhof vor, der von vier Eingängen aus ereichbar ist. Im Kern der Anlage soll auf einem Rost aus Eisenbahnschienen ein Wall aus geometrischen Betonformen errichtet werden, Kugeln und Zylinder, die eine Anhäufung der vernichteten Leben repräsentieren. Auch der vierte Preis, den die Jury an die beiden BerlinerInnen Arno Dietsche und Anna Simon- Dietsche vergab, verweist auf den geschlossenen Raum als Modell des Gedenkens an den Holocaust. Über eine Schräge kann man allein durch zwei kleine Tore in den abgeschirmten Innenhof gelangen.

Die Gedenkstätte als Bushaltestelle

Eine Ausnahme bildet der Entwurf von Renata Stih und Frieder Schnock, die die Gedenkstätte in den Kontext des täglichen Berlin- Tourismus einbinden. Statt einer Denkmalsgestaltung wollen die beiden Berliner Künstler die Fläche neu begrünen und durch die Mitte eine Busspur mit Haltestelle legen. Für den Warteraum planen sie eine Videodokumentation auf 20 Monitoren. Die Busse sollten von hier aus im Transfer unter anderem ins Scheunenviertel als den Ort jüdischen Lebens fahren, ebenso nach Potsdam zum Haus der Wannseekonferenz oder auch zum ehemaligen Konzentrationslager Oranienburg.

Die Prägnanz der vorgelegten Denkmäler, die zum Teil zurückgenommene Inszenierung ihrer selbst und die Abkehr von einer veranstalteten Erinnerung, die Erlösung von der Geschichte bringen soll, sind am Ende das eigentlich Gute eines bis dato heftig kritisierten Wettbewerbs. Ausgelöst wurde der Streit durch die Bemühungen der Förderkreis-Initiative von Lea Rosh, andere Verfolgtengruppen wie die Sinti und Roma oder die Homosexuellen auszugrenzen. Zugleich waren die Denkmalpläne emotionaler Inszenierung ein Streitpunkt. Unklar blieb auch, ob vor Ort ein Mahnmal, Denkmal oder gar eine Gedenkstätte entstehen sollte. Als zum bundesoffenen Wettbewerb, den der Förderkreis, der Bund und der Berliner Senat im Frühjahr 1994 auslobten, hinzukam, daß international renommierte Künstler wie Richard Serra, Rebecca Horn oder Christian Boltanski mit einem Bearbeitungshonorar eingeladen wurden, drohten Künstler damit, sich vom Wettbewerb zu verabschieden.

Es werden nicht beide prämierten Entwürfe realisiert werden können, ein Zusammenwirken der Künstler ist undenkbar. Es muß also eine Entscheidung herbeigeführt werden. Die Auslober, sagte Berlins Bausenator Nagel, werden in den nächsten Tagen eine „Machbarkeitsstudie in Auftrag geben“. Dort sollen insbesondere die Kosten, die 16 Millionen Mark nicht überschreiten dürfen, und die mögliche Umsetzung abgewogen werden. In zwei bis drei Monaten, so Nagel, werde die Jury dann „erneut beraten und endgültig entscheiden“. Zum Gedenken an die Sinti und Roma empfahl die Jury dem Senat, ein Denkmal zwischen Brandenburger Tor und Reichstag zu errichten.