Es lebe der digitalisierte Frosch

■ Interaktive Computerprogramme ersetzen Tierversuche an den Universitäten

Er stirbt mehr als tausend Tode und rettet damit ebenso viele seiner Artgenossen. Für das digitalisierte Präparationsvideo in einem Computerprogramm, das den Froschversuch im Biologie- und Medizinstudium simuliert, mußte ein einziger Krallenfrosch seinen Kopf hinhalten.

Unter dem schiefergedeckten Dach des Physiologischen Instituts an der Marburger Universität brüten sechs humanbiologisch und medizinisch versierte Programmierer über die Entwicklung einer Reihe von Programmen, die die blutigen Frosch- und Rattenversuche allesamt ersetzen sollen. Der erste Teil läuft schon an zehn deutschen Universitäten.

Das Debütprogramm, das der Software-Entwickler Martin Hirsch unter dem Namen „SimNerv“ zusammen mit einem Stuttgarter Verlag auf den Markt gebracht hat, ersetzt seit zwei Jahren an der Marburger Universität den ersten der vier klassischen Tierversuche zur Funktion der Nerven. Bei einer Befragung waren 400 MedizinstudentInnen mit dem virtuellen Labor bestens zufrieden und gaben ihm die Note 1,6. Testversionen laufen an der US-amerikanischen Harvard-Universität, in Israel und Österreich; sogar aus dem High-Tech-Land Japan kam eine Anfrage.

Drei internationale Preise heimste Hirsch bereits für sein interaktives Versuchslabor ein. Der zweite Teil, „SimMuscle“, steht kurz vor der Fertigstellung und kommt demnächst in den Handel. In Echtzeit können die AnwenderInnen die notwendigen Gräte, Instrumente, Schalter und Regler – allesamt realitätsnah nachgebildet – je nach Bedarf animieren. Ein ausgeklügeltes Zufallsprogramm sorgt dafür, daß der Muskel in jedem neuen Versuchsdurchlauf innerhalb realer Schwankungen individuell reagiert. Fast wie im echten Leben.

Mit den beiden weiteren Programmen „SimHeart“ und „SimGut“ will Hirsch auch die Froschherz- und Rattendarm-Versuche ersetzen. Und schon hat der ehrgeizige Jungunternehmer für weitere interaktive Animationen, die die gesamte menschliche Physiologie umfassen, die Mittel gesichert: Ein klassisches Lehrbuch setzt er in dreidimensionale Animationen, kleine Experimente und digitale Filme um.

Aber zurück zu den schon greifbaren Dingen: Weniger lange werden wir wohl warten müssen, bis tierliebende StudentInnen unter Verweis auf die virtuellen Alternativen erneut gegen die Pflicht zur Teilnahme an den echt blutigen „Schnippelkursen“ klagen. Martina Nolte