Von allen Umhüllungen befreit

Das Stuttgarter ifa will weg von der klassischen Moderne und stellt deshalb „Leiblichen Logos“ aus  ■ Von Gabriele Hoffmann

Mitten im Ersten Weltkrieg wurde das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen, kurz ifa genannt, als erstes „Deutsches Auslandsinstitut“ gegründet. Seit 1917 residiert es im Alten Waisenhaus, Baujahr 1705. Heute ist das zweistöckige unregelmäßige Geviert mit Innenhof eine vom Autoverkehr umspülte Idylle am Charlottenplatz, den die Verkehrsplaner einer monströsen Straßenkreuzung opferten. Übergroße Plakate kündigen die laufenden Kunstausstellungen an, ein Versuch, die von Natur aus nicht spektakulären Aktivitäten des Instituts – es besitzt die größte auslandskundliche Spezialbibliothek im deutschsprachigen Raum – an die Stuttgarter Kulturmeile mit Staatsgalerie, Landesbibliothek, Staatsarchiv und den am Schloßplatz gelegenen Opern-, Theater- Kunsthäusern anzubinden. Ausstellungen außereuropäischer Kunst mit Schwerpunkt Lateinamerika oder Einblicke in die wenig bekannten Kunstszenen von Rumänien und der Türkei sind keine Renner, aber sie locken Neugierige an.

Die Hauptarbeit der Ausstellungsabteilung liegt auf dem Gebiet der Darstellung deutscher Kunst im Ausland. Alle Kunstwerke einer monographischen oder thematischen Ausstellung, die das ifa im Ausland auf Tournee schickt, sind mit Geldern des Bundes angekauft worden und gehören folglich dem Institut. Zur Zeit touren an die siebzig solcher Ausstellungen um den Globus. Hannah Hoechs „Collagen“ sind so begehrt, daß die Schau bis ins Jahr 2005 ausgebucht ist. Für Ernst Barlach interessieren sich die Vereinigten Arabischen Emirate, und Max Ernsts Bücher und Graphiken sollen nach einer Rundreise durch sechs asiatische Hauptstädte in diesem Jahr Neuseeland erreichen.

Inzwischen hat das ifa zwei Ableger: eine Bonner Galerie, die sich auf afrikanische Kunst spezialisiert hat, und in Berlin eine Dependance, die sich der Intensivierung des Kulturaustauschs mit östlichen Nachbarländern widmet und die mit der vom früheren DDR-„Zentrum für Kulturaustausch“ übernommenen Kunstsammlung den Grundstock für eigene Ausstellungen im Ausland besitzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Hermann Polling auf dem Kunstsektor die Rehabilitation des durch die Nazis in Verruf geratenen Stuttgarter Instituts erreicht. René Block, seit Mai 1994 sein Nachfolger, sieht in der mit großer Sachkenntnis und politischem Instinkt bewältigten Wiederaufbauarbeit eine gute Basis für neue Akzente. Angefangen hatte Block mit einer Privatgalerie in den sechziger Jahren, aber er liebte Kunst, die unverkäuflich war, und er liebte Künstler, die sich in seiner Galerie zu grenzüberschreitenden Aktionen inspirieren ließen, neben Fluxus und Happening vor allem zu Konzerten und akustischen Installationen. Das Konzept von Entgrenzung und Entregelung, dem sich Block verschrieben hatte, bestimmte in den folgenden zehn Jahren auch seine Arbeit als Leiter der Berliner DAAD-Galerie.

Mit Ausstellungen wie „New York – Downtown Manhattan: Soho“ für die Berliner Festspiele 1976 oder „The Readymade Boomerang“ 1990 für die Achte Biennale von Sydney/Australien hat Block Erfahrungen als Kurator gesammelt, die er seit letztem Sommer als Leiter des Stuttgarter ifa für die Präsentation deutscher Kunst im Ausland einsetzen kann. Bei den zur Zeit im Ausland tourenden Ausstellungen stören ihn das „starke Übergewicht der klassischen Moderne“ und eine nicht weniger auffällige Bevorzugung von Künstlern gegenüber Künstlerinnen. Unter dem Bonner Sparzwang setzt er inzwischen ein Konzept durch, das aktuelle „Kunst in Deutschland“ unter thematischen und anderen übergeordneten Gesichtspunkten zeigt, so daß mehrere KünstlerInnen gleichzeitig vorgestellt werden können.

Paradigmatisch für Blocks Initiativen ist die zur Zeit in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Staatsgalerie präsentierte Schau „Leiblicher Logos“, die ihr Leitmotiv dem französischen Philosophen François Lyotard verdankt: „Die Männer – zumindest im Abendland – lieben nicht die Liebe, sondern den Sieg. Unter ihnen herrscht eine ironische Verachtung des Körpers und der Sinne, der Gerüche, der Berührungen, der Ausscheidungen, des Geschehenlassens, der Klänge; diejenigen unter ihnen, die sich dem überlassen, nennen sie ,Künstler‘. Aber die Künstler sind weiblich.“

Nun versuchen 14 Künstlerinnen und die Kuratorin der Ausstellung, Gudrun Inboden, zu beweisen, daß, wenn es um Kunst geht, der „geschlechtsspezifische Blick“ eine feministische Klamotte ist, die davon abhält, Kunst unter ästhetischen Kategorien in den Blick zu bekommen. Wem aus alter Gewohnheit ein „weiblich“ statt „leiblich“ als Attribut für den Logos entschlüpft, der hat einfach sein kunstfremdes Interesse verraten. Der Titel wird im Katalog als Postulat für die Ersetzung der dialektischen durch die komplementäre Verknüpfung von Leib und Logos verstanden. Nietzsche – ihm glaubt man, daß er dem Weiblichen nicht huldigen wollte – hatte gegen den lebensfeindlichen abendländischen Logos die „große Vernunft des Leibes“ ins Feld geführt. Von seiner Umwertung der Werte zehren noch die Ästhetiker der Postmoderne.

Was es in den beiden Ausstellungsräumen zu sehen gibt, hat so viel sinnliche und körperliche Präsenz, daß jeder Versuch, die Exponate auf einen sprachlichen Nenner zu bringen, scheitert. Dennoch, die Vorschrift „leiblich“ nur ja nicht mit „weiblich“ zu verwechseln, sollte an den Exponaten überprüft werden. Da liegt ein rotes Samtkleid auf dem Boden mit viel zu langen Ärmeln, und ein weißes hängt an der Wand wie ein Totenhemd. Es sind die Hüllen, von denen sich eine Frau befreit hat, um in sportlich leichter Bekleidung für immer rückwärts zu laufen. Dagmar Demmings Installation „Totale Ausgangssperre“ (Textilien und Video) konzentriert sich auf eine offensichtlich weibliche Leiberfahrung.

Rosemarie Trockel setzt sich mit den Stereotypen und Mythen des Weiblichen in subversiven Zeichen auseinander. Ihre Herdplatten-Choreographien und von Mottenlöchern strukturierten Strickbilder wecken Assoziationen, bei denen sich Kunstgeschichte (von Duchamps bis Beuys) mit weiblichen Alltagserfahrungen trifft. Quin Yufen hat im Skulpturenhof eine Klanginstallationen aufgebaut. An weißen Wäscheständern hängen weiße Papierstreifen und Mikrofone, aus denen Stimmen der Pekingoper dringen, die der Wind zerzaust.

Ein Diagramm vom täglichen Weg der Hausfrau zwischen Kühlschrank, Herd und Spüle wird bei Katharina Karrenberg gleichrangig zu logischen Untersuchungen über Aphrodite Genetrix verhandelt, bei denen sie ein Textfragment von Flusser mit dem Auge der Heiligen Theresa und einer Blitzentladung im Namen von Jackson Pollock kombiniert. Pia Stadtbäumer benutzt herkömmliche (männliche) Bildhauertechnik für ein silberüberzogenes Beinfragment, das aus einem umgekehrten Sockel ragt. Ironische Paraphrasen eines Modelldenkens lassen sich dagegen in einer Sequenz weiblicher Frisuren aus Hartgips (Wiebke Siem) vermuten. Elke Denda treibt Mustern mit banalen Motiven wie „Affenschrank“ oder „Salamanderbild“ durch minimale Eingriffe die Vollkommenheit systematischer Ordnung aus. Die sich gegenseitig anbrüllenden schwarzen „Panther“ von Katharina Fritsch und Asta Grötings Lederjacken-„Affentanz“ dürften in die gleiche Kerbe hauen: auswegloser Selbstbezug. Bei Gröting wandert das Thema von subtilen Aquarellen über Psychoterror im Videofilm „Die innere Stimme“ bis in die „Verdauungswege“ aus grellgelbem Silikon.

Von Iza Genzken leider nur Wohlbekanntes: Architekturfragmente in rohem Beton auf hohen Metallpodesten – Endzeitstimmung. In Maria Eichhorns „Kinderwerkstatt“, in der die Kleinen, wie sie es von Arztbesuchen gewohnt sind, mit Papier und Buntstiften gebändigt werden, kommt der Sarkasmus eines doch eher weiblichen Logos zum Zug. Ein Hauch von Fluxus in Rebecca Horns „Kafka Zyklus“, der mit in Glasvitrinen ausgestellten Schirmen, Schuhen und Koffern Kafkas „Amerika“ in Erinnerung ruft. An der Wand ein Labyrinth aus Texten des russischen Dichters Ossip Mandelschtam, über den Boden verstreut Holzkästen, alle mit dem gleichen Zeitungsartikel über den Dichter als Opfer des Stalinismus. In dieser visuell eindrucksvollen Form verbindet Ute Weiss-Leder ihre Mandelschtam-Lektüre mit dem Wissen über die Person des Autors. Den leiblichen Logos sich selbst persiflierend darzustellen, als vollkommene Form auf hohem Podest, das gelingt Karin Sander mit einem feingeschliffenen, blankpolierten „Hühnerei“ – Brancusis marmorne Hommage an die Fruchtbarkeit ins Leichte und Zerbrechliche hebend.

Eine Ausstellung „Video- Skulptur in Deutschland 1963– 1993“ hatte im letzten November ihren Auftakt in Rostock. „Fluxus in Deutschland 1962–1994“ wird ab Mai in Gera zu sehen sein. Große Namen findet man da und kaum einen, den Block nicht schon als Galerist entdeckt hatte. Noch in der Planung ist ein Projekt mit Start in Berlin: Zwanzig Künstler, die noch keine Erfahrung mit dem Theater haben, entwerfen Bühnenbilder.

„Leiblicher Logos“, bis 9. 4. in der ifa-Galerie Stuttgart. Der Katalog kostet 38 DM.