Mother India und das Feindbild Muslim

Im indischen Bundesstaat Maharashtra regiert seit vergangener Woche eine Hindu-Partei, deren Führer Bal Thackeray offen mit dem Führungsstil faschistischer Vorbilder liebäugelt  ■ Aus Delhi Bernard Imhasly

„Die Macht wird hier bleiben“, sprach Bal Thackeray in die Fernsehkameras und deutete auf den Boden seines Wohnzimmers. Soeben war sein Protegé Manohar Joshi in feierlichem Zeremoniell als Chefminister von Maharashtra, dem reichsten Bundesstaat Indiens, vereidigt worden.

Daß der Chefminister nur der Abgeordnetenkammer Rechenschaft schuldig ist und sein Eid ihn auf die Verfassung verpflichtet, ist für Bal Thackeray unwichtig. Als „Supremo“ der extremistischen Hindu-Organisation „Shiv Sena“, die zusammen mit der hindu-nationalistischen Partei Bharatiya Jamata (BJP) die Macht in Bombay übernommen hat, wird er, wie er sagt, seine Leute „per Fernbedienung“ kontrollieren.

Auch 30 Jahre nach ihrer Gründung ist die Shiv Sena immer noch eine Bewegung, die vollständig auf ihren Gründer zugeschnitten ist. Daß sie jetzt mit einer Kaderpartei wie der BJP die Macht teilt, daß sie Abgeordnete und Minister hat, bedeutet für den 68jährigen Thackeray – eine Anglisierung des Kastennamens Takre – noch lange nicht, daß sich an der Organisation der Bewegung etwas ändern müßte. Die Shiv Sena wird auch in Zukunft keine Partei- oder Vorstandsmitglieder haben: erstere sind seine „Boys“ oder „Arbeiter“, die letzteren nennt er seine „Leutnants“.

Thackeray hatte die Shiv Sena aus Zorn über die Behandlung gegründet, die ein südindischer Redakteur ihm als jungem Karikaturisten zukommen ließ: Es war eine militante Bewegung der einheimischen Mahrathen – wie die Bewohner Maharashtras genannt werden – gegen die Dominanz der Südinder und Gujeratis in der Geschäftsmetropole Indiens.

Aus der „nativistischen“ Bewegung wurde bald eine glühend antikommunistische Kampffront, als es in den Siebziger Jahren darum ging, die linken Gewerkschaften aus ihren lukrativen Machtstellungen im Industriegürtel Bombays zu vertreiben.

Um seine städtische und ethnische Basis zu verbreitern, wurde Thackeray dann zu einem Verfechter eines hinduistisch geprägten Nationalismus, und in seine Vorliebe für Bier und englische Manieren mischte sich bald ein Trend zu orangefarbenen wallenden Kleidern und Gebetsschnüren, dem Schwert und dem brüllenden Tiger als Sena-Symbole. Es ist ein autoritär gefärbter Nationalismus, der neben seiner Führerrolle nur noch die mythische Mutterfigur der „Mother India“ duldet und als notwendiges Feindbild dazu den Muslim. Jeder muslimische Inder muß nach Thackeray zuerst einmal beweisen, daß er kein pakistanischer Spion ist und den Namen Inder verdient.

Es waren militante Anhänger der Shiv Sena, die im Dezember 1992 an vorderster Front die Babar-Moschee in Ayodhya stürmten. Als es kurz darauf in ganz Indien zu antimuslimischen Ausschreitungen kam, sorgte Thackeray dafür, daß seine „Boys“ den Muslimen in Bombay „eine Lektion erteilten“. Das Ergebnis waren Dutzende von Toten, Brandstiftungen und die Flucht Zehntausender von Handwerkern aus der Stadt zurück in ihre Dörfer.

Persönlichkeitskult und Führungsstil Thackerays, der Adolf Hitler als Vorbild nennt, haben dafür gesorgt, daß sich viele junge Aktivisten in der Shiv Sena kriminell radikalisieren. Auf Kritik, zum Beispiel von Seiten der Presse, reagieren sie mit Einschüchterung und Schlägermethoden. Weil auch interne Kritik scharf verfolgt wird, haben sich zahlreiche Gruppen abgespalten. Dies verhinderte auch, daß sich die Shiv Sena eine Machtbasis über die Region Bombay hinaus schaffen konnte.

Ein Zusammengehen von BJP und Shiv Sena drängte sich auf: Die BJP kann mit der Sena-Verbindung lokal Punkte sammeln, und die Shiv Sena gewinnt durch die Koalition bei vielen Mittelklasse- Wählern an Respektabilität. Allerdings ist die nationalistisch-hinduistische Ideologie das einzige, das die Sena mit der BJP verbindet. In beinahe allen anderen Bereichen sind die beiden Koalitionspartner wie Feuer und Wasser: Während Thackeray außer Familienmitgliedern niemanden neben sich duldet, ist die BJP als Kaderpartei organisiert. Sie ist zudem immer noch stark von Kastendenken beherrscht, während Thackeray jede Kastendiskriminierung ablehnt. So war es kein Wunder, daß frühere Wahlabsprachen immer wieder gescheitert waren.

Und auch jetzt bei der Provinzwahl kam es zu heftigen Reibereien. Die Aufteilung der Wahlkreise und Kandidaten war strittig, auf ein gemeinsames Wahlsymbol und vor allem ein Programm hatte man sich nicht einigen können, und nur weil die BJP schließlich nachgab, kam es überhaupt zum gemeinsamen Antreten – wobei Shiv Sena noch ihren Kandidaten als Chefminister durchsetzte. Die Anhänger Thackerays bleiben trotzdem mißtrauisch. Sie verdächtigen die BJP, die Shiv Sena nur als Partner gewählt zu haben, um im „Huckepack“ an die Alleinregierung im wichtigsten Staat Indiens zu kommen.

Das war wohl auch der Grund, weshalb der abtretende Chefminister Sharad Pawar nicht den Auftrag zur Regierungsbildung forderte. Er hätte durchaus seine Ansprüche anmelden können, da seine Kongreßpartei trotz ihrer Niederlage als größte Einzelpartei aus der Provinzwahl hervorging. Aber dies hätte das Risiko blutiger Ausschreitungen der enttäuschten Sena- „Boys“ mit sich gebracht. Und vor allem rechnet Pawar damit, daß die Koalition bald an sich selbst zerbrechen wird. Er hofft, bei den Parlamentswahlen 1996 die Früchte seines Abwartens ernten zu können.

Allerdings wird Pawar dann vielleicht gar nicht mehr in Bombay als Sieger einziehen können. Thackeray nämlich hat die Absicht, aus dem portugiesischen Bombay („Bom Bahia“ – „guter Hafen“) Mumbai zu machen, den heiligen Ort der lokalen Göttin Mumbadevi.