Mobiler Funk funkt out of control

■ Die Leier vom Lauschangriff lautet lapidar: Mafia undGeldwäsche erfordern das Recht auf Spitzelei. Noch zankt man um eine Grundrechtsänderung, schon wickeln die Gangsterihre Geschäfte per Handy ab...

Mobiler Funk funkt out of control

Alle reden von der „Wunderwaffe“. Staatsanwälte, Kriminalbeamte, Innen- und Rechtspolitiker – die große Mehrheit von ihnen fordert den „großen Lauschangriff“. Gebetsmühlenartig wird die Notwendigkeit des gezielten Lauschens mit den immer gleichen Stichworten herbeigeredet: Mafia, Korruption, Geldwäsche.

Der Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, ist nur einer der Protagonisten, die die bislang durch das Grundgesetz geschützten Gespräche in Privatwohnungen mithören und mitschneiden wollen. Tag für Tag klagt der oberste Kriminaler aus Wiesbaden die „Waffengleichheit“ ein, die seine Mitarbeiter bräuchten, um den Verbrechersyndikaten wirksam Paroli bieten zu können.

Die Front der elektronischen Wanzenfreunde steht, vom christdemokratischen Bundesinnenminister Kanther über Bayerns schwarzen Ministerpräsidenten Stoiber bis zum SPD-Innenressortchef Schnoor in Nordrhein- Westfalen. Die Pläne, den geforderten Lauschangriff via Grundrechtsänderung auf Privatwohnungen zuzulassen, sind jedoch bisher am Widerstand des liberalen FDP- Flügels gescheitert.

Keine Expertentagung, auf der nicht die Forderung nach dem großen Lauschangriff erhoben wird – von dessen älterer Schwester, der Telefonüberwachung, ist nur noch selten die Rede. Und wenn doch, dann nur, weil es an der praktischen Umsetzung mit dem legalen Mithören und Mitschneiden der Ferngespräche hapert. Schuld daran trägt der technologische Fortschritt, denn die Mobilfunknetze D1 und D2 gelten zur Zeit als weitgehend abhörsicher. Das D- Netz, kolportieren Fahnder und Ankläger, habe sich längst zum „Dealer-Netz“ entwickelt.

Die vermeintliche Notwendigkeit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs – auch des Mobilfunks – stellte am 25. Januar der parlamentarische Staatssekretär im Bonner Ministerium für Post und Telekommunikation, Paul Laufs, in einem Bericht an den Bonner Innenausschuß noch einmal heraus. Das Anzapfen der Telefone sei „bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Rauschgiftkriminalität nach wie vor ein effektives Instrument der Polizeibehörden“. Gerade bei „abgeschotteten (auch ethnisch geprägten Gruppierungen) ist ein Eindringen mittels Vertrauenspersonen oder verdeckter Ermittler nahezu unmöglich, und die Überwachung des Fernmeldeverkehrs bleibt daher häufig die einzige Erkenntnisquelle“. Eingang in den Bericht nahm auch die allseits geführte Klage der Polizeien: „Erfahrungsgemäß nutzen insbesondere ,hochkarätige‘ Täter die modernsten Kommunikationstechnologien, wobei in letzter Zeit die vermehrte Nutzung der D- Netze zu verzeichnen ist.“

Die Klage der Bundesregierung ist skurril. Schließlich hatte sie selbst es versäumt, den Netzbetreibern im Genehmigungsverfahren die technischen Voraussetzungen zum Überwachen einzelner Teilnehmer gesetzlich vorzuschreiben. Erst im Herbst vergangenen Jahres wurden die rechtlichen Regelungen analog zu den Überwachungsmöglichkeiten im Festnetz der guten alten Bundespost an die neuen Technologien angepaßt. Seither sind die Betreibergesellschaften wie Mannesmann-Mobilfunk oder DeTeMobil verpflichtet, den Strafverfolgern zuzuarbeiten.

Doch an der technischen Umsetzung mangelt es. Lapidar hält der Bericht an den Innenausschuß fest: „Die Vorkehrungen wurden bei der technischen Entwicklung der Netze trotz bestehender gesetzlicher Vorschriften von den Netzbetreibern nicht berücksichtigt.“ Jetzt soll nachgerüstet werden – und man streitet, wen wundert's, ums Geld.

Nach Angaben der Netzbetreiber betragen die Kosten der Nachrüstung für jedes der Netze rund 40 Millionen Mark. Für den Mobilfunk macht das für D1, D2 und das zuletzt eingeführte E-plus-Netz schon 120 Millionen. Die Telekom errechnete für das ISDN-Netz eine Investitionssumme von rund 100 Millionen Mark „zur Erzielung der gesetzlich geforderten Überwachungsmöglichkeiten“. Der Betreiber des analogen C-Netzes, die DeTeMobil, beziffert den Investitionsbedarf mit 33 Millionen und nennt als jährliche Folgekosten für den Unterhalt der Überwachungsmöglichkeiten die Summe von 800.000 Mark. Macht zusammen eine Viertel Milliarde Mark für die fünf Netze.

Von den dann laufenden Kosten ganz zu schweigen. Nach Angaben des BKA kostet eine „konventionelle“ Telefonüberwachung im alten Postnetz je nach Dauer und Umfang bis zu 500.000 Mark. Für das Abhören in den D1- und D2-Netzen wird mit Beträgen zwischen 700.000 und einer Million Mark gerechnet.

Hinter den Kulissen tobt der Streit vor allem um die Frage, wer die Kosten der Nachrüstung tragen soll. Die Bundesregierung möchte die Betreiber zur Kasse bitten – die wiederum lehnen dies mit dem Hinweis auf eine fehlende präzise rechtliche Regelung ab. Jürgen Kuczkowski, Vorsitzender in der Geschäftsführung bei Mannesmann Mobilfunk, nutzte die letzte Computermesse CeBit, den Politikern Versäumnisse vorzuhalten. Der D2-Netzbetreiber habe nie in Frage gestellt, „per Lizens dazu verpflichtet zu sein, entsprechende Abhörmöglichkeiten zu schaffen. Allerdings fehlten und fehlen wesentliche Grundlagen zur Umsetzung dieser Forderungen“. Eine „vollständige Beschreibung und abschließende Festlegung seitens der Bedarfsträger“ stünde noch aus.

Kuczkowski bleibt hart: „Wir sind nicht bereit, unsere Kunden mit Kosten zu belasten, die alleine der Erfüllung staatlicher Aufgaben dienen – also keinen Gegenwert im Sinne einer Dienstleistung für den Kunden darstellen.“

Dem Ruf, ein „Dealer-Netz“ zu betreiben, steuert auch die Pressestelle bei DeTeMobil entgegen. Quasi als Vorleistung seien die eigenen Netze „für einige Millionen bereits soweit angepaßt und ausgebaut worden, daß sie in sehr begrenztem Umfang bereits abgehört werden können“. Die Bundesregierung verschanzt sich hingegen hinter ihren Rechtsexperten aus dem Justiz- und Innenministerium. Beide Ressorts, heißt es in dem Bericht an den Innenausschuß, „vertreten die Auffassung, daß zumindest verfassungsrechtlich im Grundsatz keine Bedenken bestehen, die Netzbetreiber mit den netzseitig erforderlichen Investitionskosten zu belasten“.

Unabhängig von der Kostenfrage soll der technologischen nun auch eine gesetzliche Nachrüstung folgen. Verfassungsschützer, Zollkriminalbeamte und Staatsanwälte sollen ermächtigt werden, bei den Netzbetreibern die Daten der Kunden abzurufen. Pro Quartal, listete Mitte letzten Jahres das Bonner Innenministerium auf, würden die Verfassungsschutzbehörden in durchschnittlich 1.500 Fällen bei der Telekom anfragen, welche/r Teilnehmer/in sich hinter einer der Behörde bekanntgewordenen Telefonnummer verberge. In rund rund 50 Fällen werde im gleichen Zeitraum die umgekehrte Zuordnung abgefragt, welcher Anschluß einer bestimmten Person zuzuordnen ist.

Was bei der Telekom gängige Praxis ist, scheiterte bisher bei den privaten Mobilfunkbetreibern. Die Sicherheitsbehörden müssen sich noch immer damit zufriedengeben, daß die gewünschte Auskunft aus „datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist“. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Erwin Marschewski, fordert bereits, „ein Teilnehmerverzeichnis aufzubauen, damit Strafverfolgungsbehörden über die Teilnehmer am drahtlosen Fernmeldeverkehr Auskunft erhalten können“. Dem konservativen Innenpolitiker schwebt vor, eine zentrale Auskunftstelle für alle Netze „über sämtliche Fernmeldeanschluß- und Benutzernummern zu schaffen“. Marschewski will darüber hinaus Mail- und Voiceboxen unter Kontrolle gestellt sehen, er fordert weiterhin gesetzliche Schranken, „damit sich niemand durch Nutzung von Krypto-Geräten [Verschlüsselungsgeräte; d. Red.] einer angeordneten Überwachung entziehen kann“.

Aller Aufwand droht indes ins Leere zu laufen. So wie bei einer Einführung des großen Lauschangriffs auf die Privatwohnungen sich Gangster zur Absprache in den nächstgelegenen Park verziehen könnten, so könnten Kriminelle als Nutzer des Mobilfunks auf andere Netze ausweichen. So läuft die Überwachung eines Anschlusses im D-Netz schon dann ins Leere, wenn der Nutzer die Chip-Karte für sein Handy bei einem Vertragspartner der Netzbetreiber im Ausland erworben hat.

Das Lamento der Strafverfolger wird auch anhalten, wenn um die Jahrtausendwende weltweite sattellitengestützte Kommunikationsdienste etabliert werden. Mit dem rund 300 Gramm schweren Handy wird es möglich sein, von jedem x-beliebigen Punkt auf dem Globus zu irgendeinem anderen Punkt zu telefonieren. Die dafür nötigen Satelliten hat der US-Konzern Motorola bereits in Auftrag gegeben.