„Folglich sage ich: ,Wir saufen ab‘“

Kindheit zum Beispiel: „Am Rande des Himmels“, eine Anthologie mit Texten polnischer und deutscher JungautorInnen als Ergebnis mehrerer grenzüberschreitender Workshops  ■ Von Kirsten Longin

Zehn deutsche und zehn polnische AutorInnen zwischen 17 und 31 Jahren – insgesamt 50 Texte, die so verschieden sind wie ihre AutorInnen. Geschrieben wurde von Selbstfindung, dem Körper, der Liebe und dem jugendlich drängenden „Warum“; übersetzt haben die JungliteratInnen ihre Werke gegenseitig. Möglich wurde das durch Workshops des LiteraturBüros Mainz in Kooperation mit den Berliner Festspielen.

Die Texte – Kurzprosa und Gedichte – geben sich verschraubt und sprachspielerisch, dann wieder sind sie lapidar und nüchtern. Mit dem literarischen Erbe wird bewußt umgegangen: Mit Goethe, Schiller, Kafka und Joyce wird eine gemeinsame poetische Gegenwart geteilt. James wird abgeknallt, und Friedrich schaut sich in Weimar einen nassen Mann an. Die Schwierigkeit, daß „alles schon mal da war“, wird beschrieben und benannt.

Alltagszitate oder Sprachdrechseleien

Die polnischen AutorInnen scheinen (will man wirklich nach Herkunft differenzieren) härter, wirklichkeitsnäher zu sein. Zum einen thematisch: Es geht dort um Dirnen und Säufer, um Träume über Hollywood. Zum anderen formal: Die Sätze sind relativ klar, einer Logik folgend: „...es blüht der Ruderhandel, folglich / sage ich: ,Wir saufen ab.‘ Und wir saufen ab.“ (Derek Foks)

Manche der deutschen Gedichte hingegen sind deutlich von Gottfried Benn inspiriert und zuweilen reichlich sprachdrechslerisch: „...Steine maulen sich / in sein aufgeschurftes Fleisch...“ (Anke Bihn). Gescheut wird das Zitat des Alltags, wie es der Pole Artur Burszta schön befreiend verwendet: „Bedauerlicherweise / Zerstörte eine vorüberfliegende taube / Das Konzept / Als sie mir auf den kopf schiß / So ein scheiß!“

Natürlich lassen sich jeweils auch Ausnahmen finden, und wesentlicher als die Unterschiede zwischen den polnischen und deutschen Texten ist das, was sie verbindet. Am Rande des gemeinsamen Himmels tauchen Ichfindung, Isolation und eine Verantwortung für das Allgemeine auf. Da geht es um Kindheitserinnerungen an Bügelwäschenduft, um den Hasen- Heini und den Mann mit Leberfleck auf der Stirn, der die Raketen aus dem Hunsrück holte.

Das Buch deswegen jedoch vor allem für eine Abwesenheit deutsch-polnischer Ressentiments zu rühmen, wie Peter Grosz (Juror beim bundesweiten Wettbewerb „Treffen junger Autoren“) es tut, geht an der Sache vorbei.

Im Workshop ging es um Verständigung

Schließlich sind die AutorInnen zu jung, um durch Kriegserfahrungen Schuldkomplexe oder schmerzhaftes Erinnern lebendig zu halten. Und wenn da etwas wäre, Geschichten, die man von Eltern und Großeltern gehört hat und die das Bild des Nachbarn bestimmen, wäre es erstens wahrscheinlich kein literarisches Thema für NachwuchsschriftstellerInnen und zweitens keines in einem Workshop, bei dem es ausdrücklich um „Gespräch und Verständnis“ geht.

Nein, das Verdienstvolle dieser zweisprachigen Anthologie liegt nicht im dokumentierten Gemeinsamen der deutsch-polnischen „Jugend“, sondern im vorausgegangenen Prozeß des Austauschs, der in den Beiträgen spürbar ist. Am schönsten sind die Texte dann, wenn die SchreiberInnen die süßliche Séance des allzu Lyrischen unterbrechen, ihre Texte nicht mit „chamäleonischem Wasser“ und „brüllenden Trümmern“ befrachten, sondern Einblick geben in ihre Sicht der Dinge: „In den nachrichten zeigten sie das neue jugoslawien / Keine schlechte metzelei dachte ich / ... / Mir war das egal / Ich wollte bunte zeitschriften knabbern /...“ (Artur Burszta).

„Am Rande des Himmels. Junge Autoren aus Deutschland und Polen“, hrsg. von den Berliner Festspielen, Dreieck-Verlag, 28 DM