Vor dem Podium, auf dem Podium etc.
: Der einzige Wiglaf

■ Und er stieg auf die Bühne und las: Eine Gründungsgeschichte des Benno-Ohnesorg-Theaters

Ich packe aus. Ich gestehe. Ich war dabei. Ich war Gründungsmitglied des Benno-Ohnesorg- Theaters.

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– Ditt issa! sagte unser Gitarrist Müller und deutete mit dem Gitarrenhals in die erste Reihe vor der Bühne ... ditt issa!

– Wer?

– Na, dieser Droste! Wiglaf Droste!

– Ah, verstehe! ... Das sagte unser späterer Gitarrist Gary immer, wenn er eher nichts verstand. ...Gitarrensolo zu Ende ... ich mußte wieder ans Mikrophon: „From the garage straight to your heart“, krächzte ich und sah mir den Droste in der ersten Reihe an: ditt isser also! Dieser Droste... Der wirbelt zwar rum, da unten, wie ein Bekloppter ... aber ein Idiot isser nich ... das sieht man: der tanzt intelligent ... der Kopf ist groß genug, in den geht was rein ... und er schmeißt keine Bierdosen und sticht nicht mit dem Finger in die Luft schräg nach oben ... tanzt nur vor sich hin und schwitzt und dampft in so einem langen Schweizer Armeemantel. Das ist wahre Begeisterung ... und das ist gut ... denn Droste ist Musikkritiker bei der taz und findet sonst nie eine Band gut ... und schon gar keine aus Berlin. Und jetzt findet er uns gut... Hat Geschmack der Mann. Das war in den 80ern.

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Wegen einer albernen Geschichte wurde Droste irgendwann von der taz gefeuert und vermutlich war das für seine Karriere ganz gut. Es drängte ihn auf die Bühne. Zur Sonne. Zum Licht. Statt wie ein Bekloppter vor der Bühne rumzutanzen, wollte er gesehen werden, ganz oben, beachtet, bewundert, geliebt werden ... wie das jeder tut, der sich freiwillig auf eine Bühne stellt ... ich weiß das. Und Droste weiß das auch ... warum tut er dann so, als wäre das bei ihm alles ganz anders...?

Und er stieg auf die Bühne und begann vorzulesen. Eine Auswahl seiner taz-Artikel und ein paar andere Sachen. Es funktionierte. Warum auch nicht? Viele seiner Artikel waren intelligent und witzig; und durch den etwas holprigen Vortragsstil, mehr durch die Nase als durch den Mund, mit dieser westfälischen Polypenstimme kam das sogar noch besser zur Wirkung.

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Einmal trank ich mit Droste und seiner reizenden Verlegerin, in einer düsteren Seitenstraße der Potsdamer, in einer noch düstereren Lokalität jede Menge Biere. Und da kam er so ins Erzählen: wesentliche Eckpunkte seines Lebens ... daß er beinahe Profisportler geworden wäre ... doch, im Ernst, daß er mal Jugend- oder Westfalenmeister gewesen sei ... im Langstreckenlauf oder so was ... und daß er der einzige sei ... der einzige in ganz Deutschland mit dem Namen WIGLAF ... worauf er sehr stolz ist: der EINZIGE WIGLAF. Sein Vater habe nämlich so eine Vorliebe für die Beowulf-Saga ... und deswegen heiße er Wiglaf und sein Bruder Finn. Ich hatte ihn ganz nett gefunden, den Droste, damals in der dunklen Kneipe ... fast so nett wie seine Verlegerin. Und mit der verschwand er schließlich in der Dunkelheit. Ah, verstehe.

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Ein anderes Mal erzählt mir Droste, er habe seinen Teppich zertanzt zu unserer neuen Single ... der tanzt also auch zu Hause ... und es hat mich wirklich gefreut, daß einer den Teppich zertanzt. Zu meiner Musik. Und ob ich nicht mal mit ihm auftreten wollte? Zusammen singen...? Na klar, warum nicht?

Ich holte Danny Dzuk Deutschmark dazu, den formidablen Pianisten, und zu dritt sangen und spielten wir einen Abend im Café Swing alte Gassenhauer von Dylan, Van Morrison, Randy Newman und Robbie Robertson. Wir hatten eine Menge Spaß. Und weil das Publikum genausoviel Spaß hatte und heftig grölte und tobte, sah uns Droste schon auf Welttournee, und eine große Zukunft für sich ... und uns so dabei. Wiglaf wollte Rockstar werden ... nicht nur immer drüber schreiben, nicht immer vor der Bühne tanzen, nein, oben ... im Licht ... und jeder unten sagt: ditt isser... Und das ist ja so in Ordnung. Nur soll er dann nicht so tun und über andere schreiben: „vollgesogen mit Eitelkeit“...

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Und dann kam das Benno-Ohnesorg-Theater. Ein ziemlich blöder Name, fand ich. Besser gefallen hätte mir: „Droste und seine quallenden Schmierlappen. Eine ölig- nölige Revue gegen das galoppierende Mehlmützentum“ ... immerhin wären da einige seiner damaligen Lieblingsvokabeln zum Zuge gekommen.

Ein nettes Spiel: woran erkennt man, daß ein Artikel oder in der Titanic ein „Brief an die Leser“ von Wiglaf Droste stammt? Also erst mal, wenn es gegen Drostes Intimfeinde geht: Biermann, Hartung, Tornow, taz, Biller etc. (Achtung: demnächst sicher Frank Castorf...) und wenn mindestens eine typische Droste- Vokabel vorkommt: „schmierlappig“, „Mehlmützen“ für Polizisten ... „untenrum“ fürs Geschlechtliche (sehr häufig) ... und „ins Erloschene fallen“, „absondern“. Und oft haben die Menschen etwas „zwischen den Ohren“: ein „Grinsen“ oder eine „Frage“ ... und sie stecken sich auch nicht etwas zum Essen in den Mund ... nein, bei Droste wird immer „in den Kopf gesteckt“ ... alles natürlich „coram publico“. Meinen „Schmierlappen“-Vorschlag fand Droste nicht gut. Schade eigentlich.

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Die ersten Auftritte des B.O.T. sollten zwischen Weihnachten und Silvester 1990 stattfinden. Die Idee war, daß ein Schreiber, nämlich Droste, nicht nur liest, sondern auch noch singt, und daß ein Sänger, nämlich Daniels, nicht nur singt, sondern auch noch liest ... und daß ein Bassist, ein gewisser Herr Stein, nicht nur Bass spielt, sondern auch noch liest, aber auf gar keinen Fall singt. Und daß Danny Klavier spielt und singt. Prima.

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Also haben wir die Songs arrangiert und einstudiert, mehrstimmigen Gesang probiert, die Sache immer wieder durchexerziert und schließlich die Reihenfolge der Songs notiert. Vorsichtig regte ich an, doch ein oder zwei Stücke in petto zu halten, falls jemand 'ne Zugabe will.

– WAS? ZUGABEN? ... QUATSCH! BLÖDSINN! IDIOTIE! ZUGABEN? ... BETRUG! EITLES THEATER! ... WIRSPIELENDASVOLLEPROGRAMMDURCHUNDBASTA! Hugh! Häuptling Droste hatte gesprochen. Verstehe.

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Natürlich wollte das Publikum eine Zugabe. Und während die Leute klatschten und johlten und pfiffen, ging Droste gar nicht erst in die Garderobe, sondern stand schnaufend und schwitzend und pumpend um die Ecke ... wie in Schmalz gehauen ... mit funkelnden Ohren zwischen den Augen, ja, er ist der einzige Mensch, der Wiglaf heißt und bei dem die Augen weiter auseinanderstehen als die Ohren ... und jetzt saugt er sich so richtig voll mit Publikum ... und wie ein General den Degen zur Attacke zieht er den Zeigefinger schräg nach vorne, stochert da herum und schnaubt: JUNGS! WIR GEHN NOCH MAL RAUS!!! Ich ging raus. An die Bar. Einen trinken. Das haben wir dann fünf Abende hintereinander gemacht: Droste stieß den Zeigefinger in die Luft ... und ging noch mal raus. Auf die Bühne. Und ich ging raus. An die Bar. Einen trinken. Mit Drostes reizender Verlegerin

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Das war der Anfang vom Benno- Ohnesorg-Theater. Wie Wiglaf Droste das Publikum vor mir, meiner Mittelmäßigkeit und meinen Schreibereien geschützt hat ... und mich vor dem Publikum, davon vielleicht ein anderes Mal H.P. Daniels

Wiglaf Droste singt und liest bald wieder in der Volksbühne; H.P. Daniels ist heute Special Guest bei „Spoken Word“ im Ex 'n Pop, Mansteinstraße 14. Am 26.4., 23 Uhr, liest und singt er mit Felicitas Hoppe in der MittNight-Literatur-Show im BKA-Zelt.