Wenn Stimmen fehlen

■ Bündnisgrüne streiten über Tolerierung durch die PDS / Die einen wollen, die anderen nicht / Warnung von Sachsen-Anhalt

Er wisse nicht, sagte der Bündnisgrüne Jochen Esser, was daran unmoralisch sein soll, mit Unterstützung der PDS Atomkraftwerke abzuschalten. Mit dieser These war der „Dialog im Haus der Demokratie“ zur Frage „Mit der PDS in die Verantwortung oder ins Abseits?“ eröffnet. Mit Esser, den zwei Mitgliedern des Abgeordnetenhauses Michaele Schreyer und Bernd Köppl sowie dem Bundestagsabgeordneten Werner Schulz sind am Dienstag abend die Protagonisten der wesentlichen Position in der PDS- Frage bei den Bündnisgrünen vertreten gewesen.

Nachdem die Sozialdemokraten Thomas Krüger und Peter Strieder mit ihrem PDS-Papier (taz vom 20. März) Bewegung in die SPD gebracht hätten, sollten die Bündnisgrünen nicht diejenigen sein, die eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die PDS verhindern, so Esser – falls es bei den Abgeordnetenhauswahlen am 22. Oktober für Rot-Grün nicht genüge. So gingen auch keine Stimmen für die Grünen verloren. Esser rechnet bei einer Tolerierungsabsage mit der Demotivation von Wählern. Mit seinen Argumenten vertrat er die Tolerierungsbefürworter, die wie ihre Gegner Anträge für einen Parteitag am 8. April gestellt haben. Dann wird über das Verhältnis zur PDS entschieden.

Bernd Köppl möchte dagegen eine Festlegung am 8. April verhindern. Die PDS verbreite noch immer „den Leichengeruch der alten SED mit ihrer Stasi-Vergangenheit“, sagte der Gesundheitspolitiker. Aber für den Fall, daß am Wahlsonntag Rot-Grün zwei Mandate fehlen sollten, müsse man sich offenhalten, ob man die Große Koalition einfach weitermachen lassen will: „Lieber unstabil Reformpolitik machen, als Berlin stabil zu Grunde richten.“

Falls zwei Mandate fehlen sollten, so glaubt Köppl, werde die Diskussion in der SPD über eine Tolerierung „massiv losgehen“. Eine Wende, die der Abgeodnete für legitim hält. Schließlich bestehe die PDS nicht nur aus ehemaligen SED-Mitgliedern, sondern zu einem guten Teil auch aus „jungen Leuten“. Köppl widersprach aber Esser, der eine Tolerierung nutzen will, um bestimmte Kräfte in der PDS zu stärken. Die Bündnisgrünen wollten doch nicht an die Macht, um die PDS zu reformieren, sondern um eine 3,5-Millionen-Stadt zu regieren.

Michaele Schreyer schloß dagegen eine Tolerierung auch für diesen Fall aus. Daß auf einem Parteitag der PDS ein Drittel Sahra Wagenknecht unterstützt habe, zeige wie defizitär die Frage der Vergangenheitsbewältigung behandelt werde. Dennoch akzeptiere die bündnisgrüne Fraktion die PDS als „normale Partei“. Doch Gleichbehandlung bedeute nicht Koalitionsaussage, schließlich komme auch nicht Schwarz-Grün in Betracht. Auch deshalb, weil die rot- grüne Mehrheitsregierung von 1989 „in vielen Punkten sehr schwierig war“ und Ende 1990 zerbrach, ist Schreyer gegen eine Tolerierung durch die PDS.

Erstmals wurde am Dienstag abend aber auch deutlich, daß es nicht nur um taktische Erwägungen geht. Innerhalb der Bündnisgrünen gibt es unterschiedliche Vorstellungen. So lehnte Esser, wie die PDS, eine Klage gegen die nach Ansicht von Schreyer verfassungswidrige Rekordverschuldung der Großen Koalition ab. Für Schreyer ist neben umwelt- und energiepolitisch anderen Vorstellungen gerade das Thema Finanzen Grund für eine Ablehnung einer Tolerierung durch die PDS.

Der aus Sachsen in den Bundestag entsandte Werner Schulz unterstützte die Tolerierungsgegner. Die Erfahrung der rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen- Anhalt zeige, daß die PDS „eigentlich mit am Kabinettstisch sitzt“ und dort mitbestimme, aber in der bequemen Rolle sei, für nichts Verantwortung übernehmen zu müssen. Das Ergebnis sei nicht mehr Rot-Grün. Die Bündnisgrünen würden dabei verlieren, warnte Schulz: „Für uns ist das ein Tod auf Raten.“ Dirk Wildt