Die falschen Signale zur falschen Zeit

■ Türkischer Bund vermißt eine Verurteilung der Anschläge durch Innensenator, Parteien und die deutsche Öffentlichkeit

Der Türkische Bund Berlin- Brandenburg hat gestern zu Besonnenheit aufgerufen und die Brandanschläge auf türkische Einrichtungen „aufs schärfste“ verurteilt. „Die angespannte Lage in der Türkei trifft uns, aber die Spannung wird noch verstärkt durch die undifferenzierte Diskussion dieser Ereignisse in Deutschland“, stellte Emine Demirbüken, die Sprecherin des Dachverbandes, bei der gestrigen Pressekonferenz fest.

„Wieder werden zur falschen Zeit am falschen Ort die falschen Signale für das Zusammenleben in diesem Land gegeben.“ An erster Stelle stehe in der politischen Diskussion die Frage der Abschiebung von Kurden. „Das ist gerade jetzt sehr integrationshemmend.“

Der Türkische Bund vermißt auch eine Geste von Innensenator Heckelmann (CDU). „Es ist bedauerlich, daß der Innensenator noch keinen Kontakt zu den Betroffenen der Anschläge aufgenommen hat“, so Demirbüken. Eine Verurteilung der Anschläge hätte man sich auch von den Berliner Parteien gewünscht. „Aber da hört man wenig“, bedauerte Kenan Kolat, der Geschäftsführer des Türkischen Bundes. Zu den wenigen gehört Kultursenator Ulrich Roloff-Momin (parteilos), der gestern in einem Schreiben an Hürriyet sein Entsetzen über den Anschlag gegen das Büro der Zeitung zum Ausdruck brachte. Er hoffe, daß „das Fundament der Freundschaft zwischen unseren beiden Völkern von den entsetzlichen Taten“ nicht erschüttert werde, heißt es in dem Brief.

Doch überwiegend begreift die deutsche Öffentlichkeit die Anschläge immer noch als innertürkische Angelegenheit. „Dabei sind sie auch ein Problem der deutschen Gesellschaft“, betonte Kolat.

„Ich werde immer gefragt: ,Wer sind die Täter? Wer sind die Täter?‘“ kritisierte Demirbüken. „Wir führen die Diskussion an der falschen Stelle.“ Bei der Suche nach einer Erklärung für die Brandanschläge dürfe man die türkischen Ereignisse nicht einfach auf Berlin übertragen. Ethnische Gruppen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Als Beispiel dafür, daß Alewiten und Sunniten, Türken und Kurden in Berlin bislang friedlich zusammengelebt haben, nannte sie die Zusammenarbeit von alewitischen und überwiegend sunnitischen Vereinen innerhalb des Türkischen Bundes. Zu den Mitgliedern zählt auch das Kulturzentrum Anatolischer Alewiten. Dessen Vertreter Metin Özbingöl rief gestern Alewiten und Sunniten in Berlin ebenfalls zu Besonnenheit auf. „Gewalt soll nicht mit Gewalt beantwortet werden. Die Gewalttätigkeiten dürfen nicht aus der Türkei nach Berlin verlagert werden.“ Auch er verurteilte die Anschlagsserie.

Ein Vertreter der Vereinigung der türkischen Reiseagenturen in Berlin wollte aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden. Er kritisierte, daß bislang noch kein einziger Täter gefaßt worden sei. „Wir fordern die Polizei und den Innensenator auf, ihre Aufgabe ernster zu nehmen.“

Der Polizeischutz ist inzwischen von 36 auf 156 türkische Einrichtungen ausgedehnt worden. Innensenator Heckelmann prüft derzeit ein Verbot von Nachfolge- und Tarnorganisationen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Dorothee Winden