: Dann änderte sich da gar nichts
Die Ostberliner Anglistin Hanna Behrend reflektiert das Mißverhältnis zwischen ungleichen Schwestern und die Krise der Frauenbewegung ■ Interview: Sonja Schock
taz: Ist der Feminismus ein Auslaufmodell?
Hanna Behrend: Er ist zumindest keine wirkliche Bewegung mehr wie in den 70er Jahren. Damals fanden sich Frauen zusammen, erzählten sich gegenseitig ihre Geschichten und stellten fest, was an diesen Geschichten eigentlich eine Geschichte der Unterdrückung war. In diesem Zusammenhang wurden Ideen und theoretische Erkenntnisse ausgelöst, die die Wissenschaften viel erheblicher beeinflußten, als das auf den ersten Blick sichtbar wird. Inzwischen ist der feministische Diskurs integriert. Es gehört zum guten Ton jedes beliebigen Wissenschaftlers, über Geschlechterverhältnisse zu referieren und von Geschlechterverhältnissen als Machtverhältnisse auszugehen. Dadurch bekommt aber keine einzige Frau einen einzigen Job, und dadurch wird auch das reale Verhältnis an den Universitäten in keinster Weise besser. Bis ungefähr Mitte der 80er Jahre dagegen bestand durchaus die Chance, einen ernst zu nehmenden Job an den Universitäten zu bekommen.
Nun besteht die Frauenbewegung nicht nur aus ihrem akademischen Flügel.
Das zwar nicht, aber er bildet doch einen Schwerpunkt. Die westliche Frauenbewegung ist sehr kopflastig und hat es nicht geschafft, die Gewerkschaften und große Teile der Arbeitnehmerinnen zu erreichen. Selbstverständlich hat sie viel erreicht, nicht nur in der Frauenpolitik. Eine grüne Bewegung könnte man sich zum Beispiel ohne Feminismus gar nicht vorstellen.
Trotz dieser Erfolge hat der „backlash“ die Frauenbewegung kalt erwischt.
Der Frauenbewegung mangelt es an Strategie. Auch dieser Frauenstreik vor einem Jahr offenbart ein gewisses Maß an Beliebigkeit. Sicher, früher hatte das mal eine Signalwirkung, wenn sich eine Frau im Büro geweigert hat, den Kaffe zu kochen. Heute steht das aber in keinem Verhältnis dazu, was in diesem Land geschehen müßte. Die Frage, in welche Richtung gehe ich, was möchte ich ändern, wird von vielen als altmodisch betrachtet. Solche Fragen charakterisieren einen als Ossi-Frau.
Inwiefern?
Für uns folgt aus einer Zustandsbeschreibung immer noch die Überlegung, was zu tun ist. Die Zustandsbeschreibung als Endpunkt geistiger Aktivität reicht nicht. Die Fragen, wofür etwas gut ist und wie etwas veränderbar ist, gehörten bei uns sozusagen zum Grundbesteck. Das ist die positive Seite einer negativ befrachteten geistigen Erbschaft.
Nun waren die Veränderungsmöglichkeiten in der DDR nicht sonderlich groß.
Nicht auf der politischen Ebene. Aber unterhalb der herrschenden Schicht, auf einer Ebene, die ich mal die Portokassenebene nennen möchte, war es durchaus möglich, sich zu artikulieren und auch etwas zu bewegen. Das waren zum Beispiel die Elternaktive oder Kulturbundvereinigungen.
Bürgerinitiativen und Literaturwerkstätten gab es im Westen auch.
Sicher, aber das wurde nicht so gefördert. Bleiben wir bei der Schule. Hier scheitern jetzt Freizeitgestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche an der Finanzfrage. Daran scheiterten sie in der DDR nie. Da hat man einfach eine Arbeitsgemeinschaft für ein bestimmtes Interessengebiet gegründet, und die erforderlichen Mittel wurden zur Verfügung gestellt. Sie konnten immer irgend etwas organisieren, und Sie haben natürlich bei dieser Gelegenheit gelernt, mit ungünstigen Bedingungen fertigzuwerden. Das erforderte Initiative und Einfälle.
Nach dem Motto „Mangel macht kreativ“?
Mangel kann auch sehr unkreativ machen. Er muß schon überwindbar sein. Das Bild, das wir heute von uns in den Medien präsentiert bekommen und dem wir schon selbst zu glauben beginnen, zeigt uns als Nischengesellschaft, in der die Leute sich in ihre Familien zurückgezogen haben und sich sonst um nichts gekümmert haben. Man sollte mal zählen, wie viele Leute irgendein kleines Amt innehatten, irgend etwas gemacht haben. Hier um die Ecke zum Beispiel wohnt eine Frau, die hat einmal im Jahr alle Autofahrer aus der Nachbarschaft zusammengetrommelt, um mit den alten Leuten hier einen gemeinsamen Ausflug zu machen. Derartige Aktivitäten gab es viele. Ich glaube, solche Möglichkeiten des Handelns wurden bei uns in einem sehr viel größeren Maße wahrgenommen als im Westen. Dabei sind Potenzen entstanden, kooperativ zu handeln. Im Westen scheinen viel mehr Menschen auszukommen, ohne an einem, wie wir das nannten, gesellschaftlichen Tun teilzuhaben.
Trotz aller Potenzen haben sich die Frauen in der DDR nach der Vereinigung ziemlich die Butter vom Brot nehmen lassen.
Das ist richtig. Es hat erst einmal keine klare Auffassung darüber gegeben, was hier erhaltenswürdig gewesen wäre. Natürlich haben wir bestehende Einrichtungen wie Kindergärten oder Schulhorte wegen ihrer Uniformität oder Erziehung zur Doppelzüngigkeit kritisiert. Das hieß aber nicht, daß wir sie abschaffen wollten. Für uns wäre es eine große Hilfe gewesen, wenn uns die westdeutsche Frauenbewegung in unserem Kampf gegen den Abbau von Sozialleistungen unterstützt hätte. Aber sie haben häufig nicht begriffen, daß auch wir erhaltenswerte Leistungen zu verteidigen hatten.
Woran liegt das?
Wenn ich mit englischen, irischen oder amerikanischen Frauen gesprochen habe, waren diese durchaus in der Lage, das politische System der DDR abzuheben von einzelnen Leistungen und Einrichtungen, die sie für gut hielten. Westdeutsche Frauen machen das so gut wie nie. Das hat etwas zu tun mit ihrer Position in diesem neu zusammengekommenen Land. Auch Westfrauen, die ihrem eigenen System kritisch gegenüberstanden, waren ja der Überzeugung, daß die Sozialisation der Ostfrauen vollkommen undiskutabel ist. Die Ostfrauen wurden niemals als gleichberechtigt gesehen. Das hatte Auswirkungen auf die Art und Weise des Dialogs.
Inwiefern?
Wenn nur eine von zwei Gesprächspartnerinnen auf der Seite steht, auf der die Fragen gestellt werden und die andere nach den Kompromissen fragt, die sie eingegangen ist, nach den Niederlagen, die sie erlitten hat, nach ihren Wünschen, die nie erfüllt worden sind und warum sie sich dies und jenes hat gefallen lassen, immer von der stillschweigenden Voraussetzung ausgehend, daß natürlich nur das eine System unannehmbar ist, dann kann es zu keiner wirklichen Kommunikation kommen. Ich habe früher, wenn ich mit englischen oder amerikanischen schwarzen Frauen geredet habe, nie so ganz verstanden, warum sie permanent Differenz thematisiert haben. Mittlerweile verstehe ich sie sehr viel besser.
Warum haben die Ostfrauen von sich aus nicht mehr Druck gemacht?
Das beste Beispiel war für mich das 218-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Mein erster Gedanke damals war: Das können die doch nicht machen. Dann habe ich mich über meine Naivität geschämt. Zu der entsprechenden Demonstration am Alexanderplatz kamen dann höchstens hundert Leute. Am Anfang war das noch anders. 1989 gab es Demos noch und nöcher, nicht nur die Montagsdemos. Dieses politische Engagement war gespeist von der Überzeugung, damit wirklich etwas bewegen und verändern zu können. Diese Formen des Protestes kannten wir ja vorher nicht. Ja, und dann änderte sich da gar nichts. Auch die Frauenbeauftragten zum Beispiel an den Unis konnten nichts verhindern. Da haben viele gesagt: Dann bleibe ich zu Hause und arrangiere mich mit dem neuen System so, wie ich mich mit dem alten arrangiert habe.
Endstation Resignation?
Nein, auf keinen Fall. Es ist wichtig, jetzt die neue Situation zu erkennen, nämlich die, daß wir nicht nur einen „backlash“ für die Frauen, sondern einen „backlash“ der Humanität allgemein haben. Die kleinen atomisierten Grüppchen, die mal hier ein Parteichen gründen, mal dort einen Streik organisieren, können dieser Herausforderung nicht gerecht werden. Es gibt aber eine Menge Menschen, die den Abbau an Humanität sehr wohl registrieren. Dieses Widerstandspotential gilt es zu integrieren und zu vernetzen. Die Frauenbewegung sollte sich in die Aktionen anderer einklinken, zum Beispiel gemeinsam mit Umweltgruppen für eine andere Verkehrspolitik kämpfen. Andererseits muß sie andere Bündnisse für die Unterstützung eigener Schwerpunktziele gewinnen.
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