Türkische Gemeinde bleibt gelassen

■ Erneuter Brandanschlag auf türkische Einrichtung /Während Innenminister Kanther ein härteres Vorgehen gegen Kurden fordert, bleiben die von den Anschlägen betroffenen Türken relativ gelassen

Salzgitter/Berlin (AFP/taz) – Wieder wurde ein Anschlag auf eine türkische Einrichtung verübt, und wieder konnten die Täter unerkannt fliehen. In der Nacht zu gestern war der türkische Kultur- und Sportverein in Salzgitter Ziel der Brandstifter. Wie die Polizei berichtete, schleuderten die Täter einen brennenden Benzinkanister gegen die Tür des Vereinshauses. Da sich jedoch zur Tatzeit mehrere Vereinsmitglieder in dem Gebäude befanden, konnte der Brand schnell entdeckt und größerer Schaden verhindert werden. Die Fahndung der Polizei blieb bis zum gestrigen nachmittag erfolglos.

Aus türkischen Kreisen mehrt sich derweil die Kritik an PolitikerInnen und an der Polizei. Faruk Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen, sagte gestern, viele seiner türkischen Landsleute fühlten sich nicht genug geschützt. Sie seien enttäuscht darüber, wie die deutsche Politik bisher auf den Terror reagiert habe. Zudem stießen die geringen Erfolge der Polizei bei der Suche nach den Attentätern auf Unverständnis.

Insbesondere die SPD und die Grünen seien in den türkischen Medien in die Schußlinie geraten, weil sie „zu den Anschlägen bisher geschwiegen“ hätten, erklärte Sen in einem Interview mit dem Sonntagsblatt. „Kleine Splittergruppen“ wie die PKK benutzten die Ereignisse in der Türkei, um Unruhe unter der türkischen Minderheit in Deutschland zu stiften. Sie bedienten sich Deutschlands „ganz gezielt als Schauplatz ihres terroristischen Kampfes“.

Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) nutzte die Gelegenheit, um die Abschiebung von Kurden aus der Bundesrepublik voranzutreiben. Er rief die Länder erneut zu einer einheitlichen Haltung auf; es sei „nicht erträglich“, daß es in Deutschland „ein halbes Dutzend“ unterschiedlicher Regelungen gebe. „Schwerkriminelle Ausländer“ und insbesondere radikale Gewalttäter müßten in ihr Heimatland zurück.

Bei dem letzten Punkt stößt der Innenminister bei Berliner TürkInnen auf offene Ohren. In Berlin hatten sich die Anschläge auf türkische Einrichtungen gehäuft. „Die sollen doch in die Türkei gehen und ihre Konflikte dort austragen“, schlugen die Mitarbeiter des Reisebüros „Türkei Tours“ vor, „und uns hier in Ruhe arbeiten lassen“. Das Reisebüro war in der letzten Woche völlig ausgebrannt, die Angestellten arbeiten weiter – in einem Container. „Natürlich haben wir Angst“, sagte einer der Männer, „aber Wut? Nichts, gar nichts. Wir wissen doch nicht mal, auf wen.“

Mit Verdächtigungen sind die Berliner TürkInnen sehr vorsichtig. Statt Vermutungen über PKK- Terror anzustellen, betonten sie lieber, wie friedlich Türken und Kurden, Sunniten und Alewiten verschwippt und verschwägert zusammenleben. Noch wäre bei den „einfachen, unorganisierten Leuten kein Zorn“ zu spüren. Das könnte sich allerdings sehr schnell ändern, wenn bei einem der Anschläge Menschen verletzt würden.

Bei „Turkish Airlines“ in Berlin, die vor zwei Tagen Opfer eines Brandanschlags wurden, machte man sich mehr Sorgen um das Verhältnis zur deutschen Bevölkerung. „Jetzt denken die Deutschen doch, daß wir alle so sind.“ Das würde allen schaden, die vom Tourismus in die Türkei lebten. Die Stimmung wäre „gedrückt“, Wachschutz könnten sich die kleinen Läden nicht leisten und die Polizei wäre „überfordert“, sagte ein Mitarbeiter.

Trotzdem geben sich die Mitarbeiter türkischer Reisebüros, die noch nicht von einem Anschlag betroffen waren, erstaunlich gelassen. „Angst? Warum denn?“ fragte ein Angestellter eines Kreuzberger Unternehmens erstaunt. Angst hätte er nur davor, daß das Tourismusgeschäft zurückginge, Sicherheitsmaßnahmen gäbe es in seinem und auch den umliegenden türkischen Geschäften keine. Nur seinen Namen oder den des Büros wollte er lieber nicht veröffentlicht sehen, „sonst passiert uns morgen was“. bam