■ Die türkische Armee ist tief in irakisches Territorium vorgedrungen. Die Regierung von Ministerpräsidentin Ciller kann auf Unterstützung rechnen: Die türkische Öffentlichkeit zieht mit, die USA auch, die EU...
: Nur die Kurden sind dagegen

Die türkische Armee ist tief in irakisches Territorium vorgedrungen. Die Regierung von Ministerpräsidentin Çiller kann auf Unterstützung rechnen: Die türkische Öffentlichkeit zieht mit, die USA auch, die EU wackelt herum, und der Irak hält still.

Nur die Kurden sind dagegen

Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller genießt nach dem Einmarsch türkischer Truppen in den kurdischen Nordirak völlige innenpolitische Rückendeckung. Kritik kommt weder von den Oppositionsparteien noch von den Medien – die türkische Öffentlichkeit hofft einmütig, daß der Einmarsch der Armee in den Nordirak der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), eine große militärische Niederlage bereitet, wenn nicht gar den endgültigen Schlag versetzt.

Im Herbst vergangenen Jahres, als die türkische Armee kurdische Dörfer zwangsevakuierte und in Brand steckte, hatte es noch Kritik an den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gehagelt. Dieser Tage berichten die türkischen Medien ausnahmslos von den „großen Erfolgen“ der Militäroffensive, an der 38.000 Soldaten am Boden und die Luftwaffe beteiligt sind. Auch gestern bombardierten mehrere Staffeln Kampfflugzeuge vom Typ F-16 und F-5 Ziele im Nordirak.

„Dies ist der endgültige Schlag gegen die PKK“ frohlockt Ministerpräsidentin Çiller in einem Interview mit der Zeitung Sabah. Vor einem Monat sei die Entscheidung für die Offensive gefallen, sagte Çiller. Eine Frist, wann die türkischen Truppen wieder abgezogen werden, wollte sie nicht nennen. „Um unsere Kontrolle im Innern zu festigen, mußte der Nordirak gesäubert werden. Die Terroristen profitierten von dem Autoritätsvakuum im Nordirak, das heißt, vom Kampf Barzanis mit Talabani, um ihre Stützpunkte zu vermehren, nachdem wir im Innern die Hoheit erlangt hatten. Vom Nordirak dringen sie ein, führen Anschläge durch und kehren wieder zurück. Wir müssen der Bedrohung, die vom Nordirak für unser Land ausgeht, ein Ende setzen.“

Die Worte der türkischen Ministerpräsidentin sprechen eine deutliche Sprache. Es handelt sich bei dem türkischen Einmarsch nicht um eine begrenzte Militäroperation gegen einzelne PKK- Stellungen. Nichtbestätigten Meldungen zufolge kam es kaum zu Gefechten zwischen PKK-Guerilleros und türkischem Militär.

Die Truppenkonzentration an der türkisch-irakischen Grenze war dem Führer der PKK, Abdullah Öcalan, nicht entgangen. „Wir rechnen dieser Tage mit einem Angriff“, sagte Öcalan kurz vor der Militäroffensive in einem Interview mit BBC. „Unsere Antwort auf einen möglichen Angriff wird nicht kurzfristig, sondern langfristig sein.“

Der ehemalige türkische Generalstabschef Necip Torumtay merkt in seinen Erinnerungen an, daß „grenzüberschreitende Operationen“ kaum durchschlagenden Erfolg haben, wenn nicht das betreffende Territorium militärisch besetzt wird. Sonst könne man „die Terroristen nicht von der Zivilbevölkerung unterscheiden“. Die Kämpfer der PKK sind Kurden, ebenso wie die Zivilbevölkerung im Irak. Die Guerilleros sind „Fische im Wasser“.

Schon 1992 waren türkische Truppen mit rund 10.000 Soldaten in den Nordirak eingedrungen. Erfolgsmeldungen der türkischen Militärs über vernichtete PKK-Lager gingen damals durch die Presse. Nach dem Abzug der türkischen Truppen einen Monat später, waren allerorts wieder Lager der PKK entstanden. So deutet vieles darauf hin, daß die türkischen Militärs sich diesmal für längere Zeit – vielleicht Monate – in Südkurdistan einrichten.

Südkurdistan, formal irakisches Hoheitsterritorium, wird seit dem Golfkrieg faktisch von der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (DPK) Mesud Barzanis und der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK) Jelal Talabanis regiert. Der – von Bruderkämpfen zwischen Barzani-Peschmergas und Talabani-Peschmergas zerissene – faktische Kurdenstaat im Nordirak ist den türkischen Politikern ein Dorn im Auge. Das völkerrechtlich nicht anerkannte Mini-Kurdistan im Nordirak ist die Basis für die friedliche Existenz der PKK-Lager. Die Lieblingslösung für die Militärstrategen in der Türkei wäre ein starker Irak unter Saddam Hussein, der die Grenze zur Türkei militärisch kontrolliert. Aus diplomatischer Rücksicht gegenüber den Alliierten, die den Nordirak zur Schutzzone für Kurden gegenüber dem Saddam-Regime erklärt haben, wird diese Position nicht offen ausgesprochen.

Doch die Richtung hat der Vorsitzende der „Partei der Demokratischen Linken“, Bülent Ecevit, klar formuliert: Den Alliierten des Golfkrieges müsse klargemacht werden, daß der Irak in diesem Gebiet seine Autorität wiedererrichte. Bis dahin sei eine „Pufferzone“ zu schaffen. „Sonst kann die Türkei ihre Grenze zum Irak nicht schützen.“

Es ist bezeichnend, daß der irakische Botschafter in Ankara, der über die türkische Militäroffensive im Nordirak informiert wurde, mit keinem Wort protestierte. Ömer Erzeren, Istanbul