Nachschlag

■ Ein „Menschenbild“ in der Galerie Gebauer + Günther: „Mom and Dad“ von Janine Antoni

Es ist nicht üblich, von einer Gruppenausstellung nur eine Arbeit eines Künstlers zu besprechen, aber ab und zu gibt es keine andere Möglichkeit: die eine Arbeit ist so mitreißend, daß für die anderen keine Aufmerksamkeit mehr übrigbleibt. Die Ausstellung, um die es jetzt geht, heißt „Menschenbilder“, und die Galerie Gebauer + Günther hat damit ihre neue Räume in Mitte eröffnet – ganz in der Nähe der sonstigen trendy Ausstellungsorte der Stadt.

Das Bild, das hier als einziges hervorgehoben werden soll, ist das Fotowerk „Mom and Dad“ der amerikanischen Künstlerin Janine Antoni, die vor einigen Jahren mit ihren Arbeiten aus Schokolade und Seife auf der Whitney Biennale in New York für Aufregung sorgte. „Mom and Dad“ besteht aus drei großen, farbigen Doppelporträts, die letztes Jahr schon auf der Galeriemesse in Köln zu sehen waren. Wie immer in Museen und Galerien hängt neben dem Werk ein Materialienverzeichnis. „Mom, Dad and Make-up“ sind die Zutaten für dieses Kunstwerk. Diese faktische und zugleich witzige Aufzählung hätte auch der Titel der Arbeit sein können, denn Make-up spielt hier eine wichtige Rolle. Nie treten die Eltern als sie selbst auf. Auf der linken Seite des dreiteiligen Bildes sind sie als zwei fast identische Mütter verkleidet und geschminkt, auf der rechten als zwei Väter. In der Mitte sind zwar ein Vater und eine Mutter zu sehen, aber auch hier sind die Rollen verwechselt: der Vater ist die Mutter, die Mutter der Vater. Die Illusion ist einen Augenblick perfekt: es ist am Anfang wirklich schwer festzustellen, wer nun tatsächlich der Mann ist und wer die Frau. Wir sehen kein Ehepaar, sondern einen weiblichen und einen männlichen Zwilling.

Wenn dies nicht moderne Kunst wäre, reichte das schon für einen Applaus. Aber es ist eben moderne Kunst, und dann will man herausfinden, warum diese Bilder einen solchen Effekt haben. Man könnte behaupten, daß Antoni mit dieser Arbeit die Geschlechterrollen aufgehoben hat. Männer und Frauen sind gar nicht so verschieden, alles, was man braucht, ist ein bißchen Make-up, eine Perücke und einen Anzug oder ein Kleid. Deshalb ist Antonis Bild eigentlich ein trauriges, weil es zeigt, wie einfach es ist, feste Rollen zu tauschen, und wie schade, daß es trotzdem so wenig geschieht. In dieser Hinsicht stimmt Antoni überein mit Bruce Nauman, obwohl sein Mittel nicht die Vertauschung, sondern die Wiederholung ist. Nauman, mit dem Antoni schon zusammenarbeitete, zeigt zum Beispiel auf einem Videofilm immer wieder, wie ein Mann und eine Frau sich streiten. Scharf und peinlich zeigen beide Künstler, wie der Mensch in der Gesellschaft gefesselt ist. Dazu kommt noch, daß in Antonis Arbeit Mom und Dad zwar ihr Geschlecht tauschen, aber Vertreter ihres Landes und ihrer Schicht bleiben: amerikanische Großbürger. Bianca Stigter

Bis 13.5., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, in der Galerie Gebauer + Günther, Torstraße 220, Mitte