■ beiseite: Picasso als Pin-up
Es war noch nicht so bekannt, aber jetzt kann niemand mehr sagen, daß er es nicht gewußt hat: Picasso, der weltberühmte, war eigentlich kein Maler, sondern ein Designer. Sein Zweck war nicht die Änderung der Kunst, nein, die Gestaltung des modernen Wohn- und Leibschmucks war seine wahre Absicht. Die „Demoiselles d'Avignon“ sind also nicht für die Leinwand gemeint, die war nur ein Zwischenakt – ihre endgültige Bestimmung erreichen die Jungfern auf einer Krawatte. Seine Selbstbildnisse malte Pablo auch nicht vergebens, sie gehören nur nicht ins Museum, sondern auf Vasen und Aschenbecher.
In der Zitadelle Spandau liefert eine einzigartige Ausstellung dafür seit einer Woche die Beweise. Und die Arbeiten des Wunderkünstlers sind gar nicht teuer. Für 40 Mark bekommt man schon einen Pack Spielkarten, für 110 Mark ein Strandtuch und für 2.000 Mark sogar eine originale Aquatinta. Diese Picasso-Ausstellung ist wohl die erste, bei der die Verkaufsbude wichtiger ist als die Arbeiten des Künstlers. Der spanische Organisator, in Spandau von einem geschniegelten Venezianer vertreten, hofft mit dieser Veranstaltung noch mehrere deutsche Städte erfreuen zu können. Auf ähnliche Weise zusammengebastelte Ausstellungen mit Kunst und Schmuck rund um Motive von Dali und Chagall sind noch zu erwarten.
„Erotik“ heißt die Picasso-Ausstellung, aber allzuviel Erotisches gibt es nicht. Der Rundgang beginnt mit Reproduktionen der Zeichnungen, die Picasso 1943 an einem Tag für die Naturgeschichte Georges Buffons machte. Ich wage es nicht zu bezweifeln, daß Picasso in der Lage war, einen Widder oder eine Katze erotisch darzustellen, aber in dieser Reihe war das offenkundig nicht seine Absicht. Das gilt auch für die anderen Zeichnungen, die hier gezeigt werden. Ärgerlich ist außerdem, daß die Ausstellung nur aus Reproduktionen besteht – meist von Buchillustrationen. Dazu kommen ein bißchen Keramik und ein paar besonders häßliche Wandteppiche. Am erotischsten wirken noch die Fotos des Malers, die zwischen die Objekte gestreut sind: Picasso als Pin-up.
Die einzigen Originalarbeiten sind die etwa 30 Bleistiftzeichnungen, die Picasso 1971, zwei Jahre vor seinem Tod, herstellte. Hier wird der Titel der Ausstellung endlich konkret: die hitzig und schnell skizzierten Frauen (und ein paar Männer) zeigen immer ihre Geschlechtsorgane, auch wenn ihre Haltung das in der Realität unmöglich machen würde. Im Chaos von Armen, Beinen und anderen Körperteilen sind Brüste, Vagina und Schwanz immer sehr deutlich angebracht. In dieser Hinsicht könnte man die Zeichnungen vielleicht besser pornographisch als erotisch nennen. Ohne Barmherzigkeit zeigt der alte Maler den Mensch hier als eine schlampige Fickmaschine, an der die Geschlechtsorgane die Knöpfe und Hebel sind.
Nach diesem grausamen Höhepunkt ist die Ausstellung vorbei und fängt der Verkauf an: erst kommt ein Raum mit Grafik, dann ein Schnäppchenmarkt. Wer Picasso nicht mag, kann dort auch etwas von Dali kaufen. Erst hier wird der wirkliche Grund für den Titel der Ausstellung deutlich: nicht die Erotik Picassos, sondern die Erotik des Geldverdienens ist das Thema. Wer Picasso wirklich mag, soll weiterreisen zum Kupferstichkabinett, das letzte Woche die große Radierung „Minotauromachie“ erwarb.Bianca Stigter
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