„Wir wollen nur akzeptiert werden“

Von den 140.000 in Berlin lebenden Türken sind 40.000 Alewiten / Seit den Toten von Istanbul sind sie enger zusammengerückt / Die jüngeren Alewiten bekennen sich offensiv zu ihrer Identität  ■ Von Dorothee Winden

Kein Schild weist den Weg. Unauffällig residiert das Kulturzentrum Anatolischer Alewiten in einer Weddinger Seitenstraße. So verborgen der Treffpunkt der Berliner Alewiten liegt, sowenig haben sie sich bis in die jüngste Zeit nach außen zu erkennen gegeben. „Mein Onkel hat 20 Jahre lang bei Siemens mit einem Kollegen am Band gearbeitet, aber er wußte nicht, daß der auch Alewit ist“, erzählt Erdal, ein 30jähriger Bauschlosser. Erst vor vier Jahren waren sich sein Onkel und dessen Kollege zufällig bei einem Çem begegnet, einer religiös-sozialen Gemeindeversammlung, die das Kulturzentrum organisiert hatte. „Was, du bist auch Alewit?“ stellten die beiden überrascht fest.

„Die älteren Leute halten sich zurück“, sagt Erdal. Eine Folge der Diskriminierung. In der Türkei ist es verboten, Çems abzuhalten. „Zu Hause mußte man immer zwei, drei Leute vor dem Haus postieren, falls die Gendarmen kommen“, erzählt der 30jährige. „So eine Angst haben wir nie erlebt.“

Vor allem die Jüngeren, die in Deutschland aufgewachsen sind, geben sich seit einiger Zeit offensiv als Alewiten zu erkennen.

Wie viele andere trägt der 23jährige Taner ein Kettchen mit einem goldenen Schwert, in dessen Knauf der Name Ali eingraviert ist. Das Schwert Alis mit der gespaltenen Spitze ist das Symbol der Alewiten. Ali, der Vetter und spätere Schwiegersohn des Propheten Mohammed, wird von den Alewiten verehrt. Von den sunnitischen Orthodoxen wurden die Alewiten jahrhundertelang als Abweichler verfolgt.

„Früher war es mir nicht so wichtig, mich als Alewit zu bezeichnen“, sagt Erdal. „Mir hätte es gereicht, als Mensch anerkannt zu werden.“ Mit den Sunniten hätten sie überhaupt keine Probleme, erklärt er. Aber es gebe diskriminierende Bemerkungen, wie die seines Fleischers: „Was ein Alewit geschlachtet hat, das ißt man nicht.“ Seitdem kauft Erdal sein Lammfleisch woanders, zum Beispiel in einem der beiden Lebensmittelgeschäfte, die die alewitische Handelsgenossenschaft Al-Birlik seit 1990 betreibt.

„Die Idee dahinter ist, daß sich Alewiten auch im ökonomischen Bereich organisieren“, erklärt der Vorsitzende Hüseyin Yildiz. „Ein Teil der Gewinne soll alewitischen Projekten zugute kommen.“ 360 Teilhaber hat die Genossenschaft. Bei der Generalversammlung vor zwei Wochen wurde beschlossen, weitere Läden zu eröffnen. Den Anstoß dazu hat nicht zuletzt der finanzielle Erfolg islamisch-sunnitischer Gruppen gegeben, die schon seit den frühen siebziger Jahren Lebensmittelläden betreiben, um ihre Moscheevereine zu finanzieren.

Die Unterstützung aus den eigenen Reihen kann das Kulturzentrum gut brauchen. Vom Senat hat der 1978 gegründete Verein bislang nur vier Computer für Computerkurse und einen neuen Teppichboden erhalten. Unter den 140.000 türkischen Berlinern sind etwa 40.000 Alewiten. 720 sind Mitglied im Kulturzentrum. Zu größeren Veranstaltungen kommen bis zu 6.000 Leute. „Der 130 Quadratmeter große Saal des Zentrums ist aber selbst für den Vereinsalltag zu klein geworden“, sagt Hidir Ali Bingöl, Redakteur der zweimal monatlich erscheinenden Zeitschrift Al-Gül (Die Rose).

Im Saal, vor dem handgemalten Transparent mit Ali und den zwölf Imamen, proben die Theater- und die Folkloregruppe. In drei Gruppen lernen Jugendliche, Saz zu spielen, ein Instrument, das der Gitarre ähnelt. Auch der religiöse Drehtanz Sema wird unterrichtet. An den Wänden hängen die Titelblätter der Al-Gül.

Der Chef des Fußballvereins Al-Spor stößt zu der Runde, auch er trägt das goldene Schwert Alis. Über 200 Jugendliche kicken bei Al-Spor. Drei Mannschaften sind aufgebaut worden, im nächsten Jahr hofft der Trainer, daß eine in die Kreisliga aufsteigt.

Seit den Schüssen auf alewitische Einrichtungen in Istanbul vor zehn Tagen „rücken wir hier in Berlin näher zusammen“, sagt Hidir Ali Bingöl. „Es sind viele vorbeigekommen, die vorher noch nie hier waren.“

Die Ereignisse in der Heimat werden genau verfolgt. Die Ermordung von alewitischen Bewohnern des Dorfes Karamanmaraș 1978 ist ebensowenig vergessen wie die Toten von Sivas. Bingöl zeigt auf die Bilder mit den Fotos junger Frauen und Männer, die an der Wand hängen: StudentInnen, SchriftstellerInnen, angehende RechtsanwältInnen, die 1993 an einer Konferenz alewitischer Intellektueller in Sivas teilgenommen haben. Sie kamen ums Leben, als Islamisten das Konferenzhotel in Brand steckten. Sivas hat die Besinnung auf die alewitische Identität auch hier gestärkt. „Mit Sivas haben wir erst angefangen, uns zu erkennen zu geben“, sagt einer aus der Runde.

Trotz der Morddrohungen, die seit den Istanbuler Ereignissen im Kulturzentrum eingegangen sind, ist die Stimmung gelassen. „Wir wollen nur akzeptiert werden. Wir wollen nicht gegeneinander kämpfen, sondern friedlich zusammenleben.“