Bonner Mausgrau für Berliner Kultur

■ Bonn straft ab – und das ungeliebte Kind fühlt sich schuldig

Nächste Woche will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag einen Antrag einbringen. Gelder aus der Hauptstadtplanung sollten als zusätzliche Bundeskulturförderung Berlins umgewidmet werden: eine etwas weniger pompöse Fassadenplanung des künftigen Regierungssitzes zugunsten des Erhalts kultureller Substanz.

Das Mißverhältnis ist ja offenkundig: Das Kanzler-Kind Deutsches Historisches Museum etwa soll in diesem Jahr (als einmalige Summe) 450 Millionen Mark Bausubventionen erhalten, während sich Bonn gleichzeitig mit nur 28 Millionen Mark an den Kosten derjenigen Berliner Kulturinstitutionen beteiligen will, deren überregionale Bedeutung selbst die Bundestagsabgeordneten anerkennen. Dazu gehören die drei Opernhäuser sowie die Philharmonie, das Deutsche Theater und die Schaubühne. Diese „Beteiligung“ ist dabei bestenfalls ein Almosen, denn allein die Förderung der drei Opern beträgt 238 Millionen Mark.

Die Stadt Bonn erhält indessen bis 1999 jährlich 130 Millionen Mark Bundeskulturförderung. Aber das hielt den Regierenden Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen (CDU), nicht davon ab, sich auch noch dafür zu bedanken, daß ihm nun 120 Millionen Mark weniger als einst ausgehandelt zugesagt wurden. Das ist nicht der erste Affront: Seit 1991 sind insgesamt 600 Millionen direkter und indirekter Zuschüsse für die Berliner Kultur gestrichen worden. Schön bunt durfte Berlin sein, solange es fern der Hauptstadt Bonn lag. Jetzt, da der Umzugstermin der Regierung naherückt, will man wohl vorsorglich das pflegeleichte Bonner Mausgrau verordnen. Schließlich gibt es in Bonn auch keine drei Opernhäuser.

Ein Beispiel: Das Haus der Kulturen der Welt scheint empfindlich zu stören mit seinem anspruchsvollen und politisch engagierten Programm. Als eine Art umgekehrtes Goethe-Institut wurde diese Einrichtung 1988 auf Initiative des Auswärtigen Amtes gegründet, um sich seine Außenpolitik durch Ausstellungsprojekte und kulturelle Veranstaltungen begleiten zu lassen. Jetzt aber will das Außenministerium die Finanzierung Berlin überlassen und zahlte im letzten Jahr nur noch 2,5 statt 3,3 Millionen Mark. Mittlerweile ist eine Konkursanmeldung des in Deutschland einzigartigen Hauses für Ende Juni zu befürchten.

Für die Bundesregierung, so mutmaßen Beobachter, hätte dies den Vorteil, daß außer ihrem Besucherdienst auch noch andere Institutionen in die ehemalige Kongreßhalle vis-à-vis dem Reichstag einziehen könnte. Kohls gutausgestattetes Deutsches Historisches Museum hat derlei nicht zu erwarten.

Überraschend ist, wie folgsam man sich in Berlin abspeisen läßt. In den Pressemitteilungen verschiedener Institutionen wird allenfalls ein leises Wimmern hörbar. Die Der-Kanzler-wird's- schon-richten-Politik des Berliner Senats ist gescheitert, doch niemand macht den parteilosen, aber SPD-nahen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin für seine defensive Linie ernsthaft verantwortlich. Eher sind sogar selbstkritische Töne in der Stadt zu hören. „Vielen Ministerpräsidenten geht es einfach auf den Geist, welche Probleme Berlin mit seiner Normalität hat“, glaubt etwa Klaus Siebenhaar vom Deutschen Theater. Das ungeliebte Kind sucht die Schuld bei sich, wenn der Papa das Taschengeld vergessen hat – dieses unwürdige Schauspiel läßt sich nur noch psychodynamisch erklären.

Natürlich: Wenn die Staatsoper Unter den Linden noch 150 MitarbeiterInnen entlassen kann, bevor sie an die Grenze ihrer Spielfähigkeit kommt, dann zeigt das, wie üppig in Berlin bisher kalkuliert wurde. Auch erhält das als Privattheater neueröffnete Schloßparktheater für die nächsten fünf Jahre knapp zwei Millionen Mark Förderung jährlich, obwohl dieses Haus gemeinsam mit dem Schiller-Theater im Sommer 1993 doch aus Kostengründen geschlossen wurde.

Es gebe noch Sparmöglichkeiten. Das schon. Aber warum sollte sich die hauptstädtische Kulturszene bei so offenkundig irrationaler Bonner Berlin-Politik „normalisieren“, was ja hieße: sich bis jenseits künstlerischer Vertretbarkeit zur ökonomischen Musterschülerin des Landes kasteien? Schließlich wurde ja bereits ein Jahr vor dem Schiller-Theater auch schon die Freie Volksbühne geschlossen und privatisiert.

Normalität in Berlin wird erst erreicht sein, wenn die 120 VertreterInnen Berliner Kunst- und Kulturinstitutionen der Notinitiative „Rat für die Künste“ damit aufhören können, besorgte Resolutionen zu verabschieden, und beruhigt wieder das tun, wofür sie bezahlt werden: künstlerisch arbeiten. Petra Kohse