Städte und Dörfer angegriffen

■ UN-Flüchtlingswerk kritisiert Einsatz der türkischen Armee im Nordirak / Flüchtlinge wurden angeblich zurückgebracht / PKK offensichtlich längst weg / Bagdad protestiert gegen den Einmarsch

Berlin (taz) – Die Informationen über das Vorgehen der türkischen Armee im Nordirak könnten kaum widersprüchlicher sein. Die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller versichert ein ums andere Mal, die kurdische Zivilbevölkerung bei ihrer militärischen Offensive zu schonen. Die Aktion, an der 35.000 Soldaten beteiligt sind, richte sich nur gegen die Lager der kurdischen Guerilla PKK. Die Patriotische Union Kurdistans (PUK), eine der beiden Parteien, die die nach dem Golfkrieg eingerichteten UN-Schutzzone im Nordirak kontrollieren, meldet hingegen die Bombardierung von Dörfern und Flüchtlingslagern.

Unabhängige Beobachter berichteten gegenüber der taz, insbesondere in der Region um Sacho habe es Bombardierungen gegeben, in deren Folge zahlreiche türkisch-kurdische Flüchtlinge, die vor Jahresfrist vor den Aktionen des türkischen Militärs über die Grenze geflohen waren, wieder in die Türkei gebracht worden seien. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) leben in der Region 13.000 Flüchtlinge. Das UNHCR berichtete gestern, die Menschen in der Stadt Sacho seien so verängstigt, daß sie sich nicht trauten, ihre Häuser zu verlassen. Im Gegensatz zu Çiller berichtete das UNHCR weiter, auch Dörfer irakischer Kurden seien angegriffen worden.

Unklar ist die Rolle der PUK- Konkurrenten von der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP). Ein Sprecher der Partei in Ankara bescheinigte gestern der türkischen Armee, daß Zivilisten im Kampfgebiet nicht betroffen seien, forderte aber gleichzeitig, die Türkei solle ihre Truppen rasch zurückziehen. Der Einmarsch fand hauptsächlich in jenen Gebieten statt, die von der KDP kontrolliert werden. Nur zwei Wochen vorher hatte sich KDP-Chef Massoud Barzani in der Türkei mit hohen Militärs getroffen. Beobachter berichten außerdem, an einigen Kontrollpunkten im Nordirak hätten türkische Militärs gemeinsam mit KDP-Funktionären patrouilliert.

Die Stimmung unter der irakisch-kurdischen Bevölkerung sei gereizt, berichten taz-Quellen. Die Sympathie für die PKK sei angesichts des Vorgehens der ungebetenen türkischen Armee gestiegen. Und auch wenn die kurdische Nachrichtenagentur Kurd-A vermeldet, die türkische Armee stoße „überall auf Widerstand“ der PKK-Kämpfer, sind die Einheiten der PKK, die sich tatsächlich in den Gebieten aufgehalten hatten, offenbar zum größten Teil schon vor Beginn der Offensive abgezogen. Gerade deshalb vermuten immer mehr Beobachter, die ganze Aktion habe nur den Sinn, eine „Sicherheitszone“ nach dem Vorbild des Südlibanon einzurichten, um ein Einsickern kurdischer Guerillakämpfer in die Türkei zu verhindern. Unklar ist allerdings, wie sich in diesem Falle der Irak verhalten würde. Am Mittwoch abend, fast drei Tage nach Beginn der türkischen Offensive, legte die irakische Regierung erstmals Protest gegen den türkischen Einmarsch ein. Siehe Kommentar Seite 10 pkt