Grünes Geld für Kids und Jobs

■ Wer am Rande des Existenzminimums lebt, darf im nächsten Jahr keine Steuern bezahlen. Die Bündnisgrünen sagen, wie dabei Ehepaare mit doppeltem Einkommen und der Finanzminister gewinnen.

Grünes Geld für Kids und Jobs

Das Gericht hat gesprochen, Theo Waigel muß gehorchen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1992 darf der Staat keine Steuern von Leuten kassieren, die danach zum Sozialamt gehen müssen, weil ihr Einkommen hinten und vorne nicht reicht. Das „Existenzminimum“, haben die Karlsruher Richter angeordnet, muß ab 1996 steuerlich freigestellt sein.

Zunächst geschah nichts. Theo Waigel ließ sich Zeit. Erst kurz vor Weihnachten im letzten Jahr begann auch der Bundesfinanzminister und Vorsitzende der CSU an dem Gesetz zu basteln, das gestern das Bonner Kabinett beraten hat. Um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachzukommen, will Waigel die Lohn- oder Einkommenssteuer für all diejenigen streichen, die im Jahr weniger als 12.095 Mark (Verheiratete 24.191 Mark) verdienen. Wem es nur ein bißchen besser geht, wird bestraft. Denn Waigel gesteht nicht allen Steuerpflichtigen ein Existenzminimum zu, sondern nur den Geringverdienenden. Seine „außertarifliche Grundentlastung“ belastet Jahreseinkommen von 15.000 bis hin zu 43.000 Mark einheitlich mit einem Steuersatz von 29 Prozent. Die Anrechnung des Existenzminimums versiegt völlig, sobald das Jahreseinkommen 43.000 Mark (bei Verheirateten 86.000 Mark) übersteigt. Von da an wächst dann auch die Steuerquote.

Am Freitag nächster Woche, zum Abschluß der Verhandlungen über den Haushalt 1995, soll Waigels Gesetz im Bundestag debattiert werden. Es wird den Anforderungen der Karlsruher Richter nur teilweise gerecht. Denn das Verfassungsgericht hat in den letzten Jahren auch mehrmals angemahnt, daß die bisher geltenden Entlastungen für Familien der Steuergerechtigkeit widersprechen. Das Leben mit Kindern wird vom deutschen Staat nur äußerst schlecht gefördert, obwohl das Grundgesetz in Artikel 6 die Familie unter den besonderen Schutz stellt.

Zwar hat die Koalitionsregierung im Februar eine Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrags angekündigt. Doch beides fehlt in Waigels Gesetz. Dem Finanzminister fehlen in der Kasse die sechs Milliarden Mark, die diese familienfreundlicheren Leistungen kosten würden.

Mehr Gerechtigkeit könnte billiger sein

Ginge es nach einem Vorschlag der Bündnisgrünen, so wären Existenzminimum und Familienhilfe bei einem weitaus geringeren Finanzloch von rund sieben Milliarden Mark zu bewältigen. Zugleich sind die grünen Vorstellungen weitreichender als diejenigen des Finanzministeriums.

Das Modell stützt sich auf ein Gutachten, das die Bündnisgrünen beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Auftrag gegeben haben. Ausgehend von einem steuerlichen Grundfreibetrag von 14.000 Mark, der im Gegensatz zu Waigels Plänen jeder Person mit steuerpflichtigen Einkünften zusteht, wollen die Grünen vor allem Familien im unteren Einkommensbereich stärker entlasten. Das Kindergeld soll 300 Mark pro Kind und Monat betragen, der steuerliche Freibetrag für Kinder gestrichen werden.

Die Regierungskoalition dagegen plant ein Kindergeld von 200 Mark, erst ab dem dritten Kind soll es 300 Mark betragen. Außerdem bleibt in den Regierungsvorschlägen ein erhöhter Steuerfreibetrag alternativ zum Kindergeld bestehen. Davon profitieren nur Spitzenverdiener.

Finanzieren wollen die Grünen ihr Modell zum einen mit einem höheren Eingangssteuersatz von 25 Prozent (derzeit 19 Prozent). Zum anderen wollen sie das sogenannte Ehegattensplitting begrenzen – das bringt Geld in die Bundeskasse und ist auch noch gerechter. Zum ersten Mal würden EhepartnerInnen individuell besteuert. Lediglich die Unterhaltskosten eines Ehegatten dürfen bis zur Höhe von 14.000 Mark von der Steuerschuld abgezogen werden.

Das seit 1958 im deutschen Steuerrecht erlaubte Ehegattensplitting bevorzugt dagegen die Ehe von Alleinverdienenden. Ein Beispiel: Wer im Jahr 60.000 Mark verdient, müßte nach der Lohnsteuertabelle 1995 insgesamt 12.393,96 Mark Steuern bezahlen. Lebt diese Person aber in einer kinderlosen Ehe mit einem Partner ohne eigenem Einkommen zusammen, werden nur noch 7.896 Mark fällig. Rund 4.500 Mark werden eingespart, weil rechnerisch das Einzeleinkommen beiden Eheleuten je zur Hälfte zugeordnet wird.

Was sinnvoll erscheint, da die Ehe eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft ist, ist in Wahrheit ungerecht. Denn der Vorteil des Ehegattensplittings wirkt sich nur dann voll aus, wenn nur ein Teil des Ehepaares ein eigenes steuerpflichtiges Einkommen hat. Ob die Ehe kinderlos bleibt oder nicht, ist egal. Auch bei Familien mit niedrigen Einkommen, die kaum oder gar keine Steuern zahlen müssen, greifen die Splittingvorteile nicht. Und sie wirken sich nicht aus, wenn beide PartnerInnen gleich viel verdienen. Alleinerziehende können deshalb so gut wie nie die gleichen steuerlichen Entlastungen von Eheleuten erzielen.

Nach dem grünen Steuermodell darf das Ehegattensplitting nur noch bis zu einem Grenzbetrag von 14.000 Mark pro steuerpflichtigem Einzeleinkommen geltend gemacht werden. Auch das Recht von Ehepaaren mit einem Alleinverdienenden, eine doppelte Vorsorgepauschale abzuziehen, soll gestrichen werden.

Bezieht man erhöhtes Kindergeld, den höheren Eingangssteuersatz von 25 Prozent, das für alle freigestellte Existenzminimum von 14.000 Mark und das begrenzte Ehegattensplitting mit ein, so ergeben sich Vorteile für Geringverdienende und Familien mit Kindern. Ehepaare, die zusammen ein Jahreseinkommen von 36.000 Mark (im Verhältnis 70:30) erzielen und zwei Kinder haben, würden steuerlich um 4.800 Mark stärker entlastet als bisher. Aber auch Ehen mit zwei Kindern, in denen nur ein Partner 36.000 Mark pro Jahr verdient, sparen jährlich 4.423 Mark. Alleinerziehende, die für zwei Kinder sorgen müssen, sparen dagegen nur rund 4.150 Mark.

Auch in den mittleren Einkommensklassen, die in der Modellrechnung ein Jahreseinkommen von 60.000 Mark erzielen, wird jede Steuerklasse noch deutlich entlastet. Ehepaare dieser Einkommensgruppe mit zwei Kindern sparen mehr als 4.500 Mark Steuern jährlich, wenn sie beide berufstätig sind. Bei einem Jahreseinkommen von rund 70.000 Mark allerdings beginnt für Ledige die steuerliche Mehrbelastung. Steigt das Jahreseinkommen über 120.000 Mark und erreicht damit die maximale Besteuerung von 53 Prozent, so müssen Ledige künftig 574 Mark mehr Steuern zahlen als heute. Noch stärker in die Tasche wollen die Grünen den verheirateten AlleinverdienerInnen mit zwei Kindern und 120.000 Mark Jahreseinkommen greifen. Sie müßten gut 3.000 Mark mehr abführen als heute. Doch das grüne Modell begünstigt auch Ehen, in denen beide PartnerInnen verdienen. Eine Familie mit zwei Kindern und einem geteilten Jahres-Einkommen von 36.000 Mark und 84.000 Mark könnte zum Beispiel 3.170 Mark Steuern sparen. Den größten Vorteil hätten berufstätige Verheiratete mit Kindern. Verheiratete AlleinverdienerInnen stehen schlechter da als Ehepaare mit doppeltem Einkommen.

Auch der Finanzminister käme besser davon

Teuer wird die Sache auch bei den Bündnisgrünen. 55,1 Milliarden Mark kostet allein die Freistellung des Existenzminimums von 14.000 Mark für jeden Steuerpflichtigen. Die Erhöhung des Kindergelds verursacht Mehrkosten von insgesamt 41,2 Milliarden Mark. Nach der Rechnung des DIW könnte der Bund jedoch 67,7 Milliarden Mark einsparen und einnehmen. Dieser Gewinn setzt sich zusammen aus dem höheren Eingangssteuersatz von 25 Prozent, dem gerechteren Ehegattensplitting und der Abschaffung des Kinderfreibetrags. Dazu kommen nach der Schätzung des DIW Mehreinnahmen aus der Einkommenssteuer in Höhe von 3,8 Milliarden Mark hinzu. Steuervergünstigungen wollen die Bündnisgrünen zudem auch noch an anderen Stelle streichen, beispielsweise, indem sie die steuerliche Absetzung eines Arbeitszimmers in der Wohnung mit einer Pauschale abgelten wollen. Dem Bund soll dies insgesamt noch einmal 18 Milliarden Mark Einnahmen bescheren. Unter dem Strich bleibt bei dieser Rechnung eine Finanzlücke von 6,8 Milliarden Mark. Davon kann Theo Waigel nur träumen. Ihm fehlen noch mindestens 15 Milliarden Mark, um auch nur das Existenzminimum voll zu finanzieren.