Fit, fun und tot

■ Rein in den Fitneßwahn! Ein Lesetraining in Fun-Deutsch

Fit sein, erfolgreich sein, klasse aussehen, scharfe Typen haben (oder Frauen) und ganz viel Spaß – das ist es doch, oder? Wir selbst sind unser Lebenszweck, und zwar der einzige. Was kümmern uns die andern? Sie kümmern uns nur insoweit, als wir besser, schöner, schneller sein müssen als sie. Jünger, fitter, knackiger.

Fit for fun heißt deshalb unsere Lieblingslektüre – die Zeitschrift für den Bodykult. Also nicht wie bei den Nazis: „Kraft durch Freude“, sondern eher umgekehrt, aber das läuft letztlich aufs gleiche hinaus. Nur daß wir nicht mehr in Reih und Glied am Ostseestrand die Knie beugen, sondern ganz individuell zum Snowboarden nach Colorado jetten, in den Alpen bis zur Baum- und Leistungsgrenze joggend unsere schönen Körper stählen, in der Karibik tauchen und off-road im Jeep durch karge Landschaften brettern.

Uns zieht es, jedenfalls in der Phantasie, zum Freeclimbing nach Grönland, zum Motorradfahren nach Australien und nach Mauritius für die Fit for fun-Fun-Raid mit dem starken Fun-Faktor. Dort biken wir bis zum Umfallen, surfen bis zur totalen Erschöpfung, powern zum Zusammenbruch und trinken abends noch ein paar Bier, denn wir sind Genießer. Der Trainer beschreibt das so: „15 Kilometer Kajak, 30 Kilometer Ride-and- Run, 30 Kilometer Cross-Country und 70 Kilometer Mountainbike. Nach zwei Tagen sind alle tot – trotzdem bewerben sich 500 Viererteams.“

Das macht Spaß: tot sein. Hart und durchsetzungsstark, im kleinen Team unschlagbar, das ist unser Selbstbild, und wir arbeiten daran. Im Fun-Deutsch: Wir packen es. Auch im Job. Wir sind, pardon, karrieregeil. Mühelos und strahlend hängen wir die anderen ab, immer fair, versteht sich.

Fit for fun hilft uns. Setzen wir das empfohlene Zeitmanagement ein, die Gewinner-Strategien, das Aufsteiger-Training, die Karriere- Pusher, futtern wir zudem das richtige Müsli und gehen ab und zu mal allein mit dem Recorder an die frische Luft, um die (dann) sprudelnden Ideen festzuhalten, kann nichts mehr schiefgehen. Konzernherren aller Branchen sind begeistert von den dynamischen, leistungswilligen Abteilungsleitern, deren energiegeladene Ausstrahlung ihnen neuerdings auf den Fluren begegnet. „Die Wirtschaftswundermänner mit den dicken Zigarren und den noch dickeren Bäuchen lösen mittlerweile nur noch Lachreiz aus“, schreibt Fit for fun. Richtig. Ludwig Erhard ist eine Witzfigur. Niemand würde ihm heute einen Job geben.

Und keine dieser zarten Lolitas von den ganzseitigen Fotos würde ihm ihren Schmollmund zeigen, nicht einmal den. Süße Mädchen, wirklich! – zum Beispiel die von Richard Avedon für einen Pirelli- Kalender fotografierten aus der Februar-Nummer! Zum Anbeißen. Und nur mit einer Blindschleiche bedeckt, einer Spinnwebe oder einem Eukalyptuszweig!

Fit for fun – das ist unsere neue Lifestyle-Bibel. Für Leser wie uns hat es sich nämlich längst ausgewienert, und Tempo machen wir selbst. Was wir behalten wollen, ist der Jargon (Thrilling, Feeling, hip und Food), reduziert allerdings um das intellektuelle Getue, befreit von ironischen Verhunzungen. Spiegel und Stern kriegen wir jede Woche, samt aller Kriege und Komplikationen, deshalb erlauben wir uns einmal pro Monat den begehrlichen Blick auf die schönen Bildstrecken dieser Welt: hohe Berge, stramme Brüste, weiße Pisten, starke Männer.

Aber wir schätzen auch den Nutzwert der Zeitschrift. Zehn Minuten Gymnastik (heißt heute Workout) zum Ausschneiden, Rohkost-Rezepte zum Nachschnippeln, Tips für Krise und Karriere. Ganz abgesehen davon, daß uns monatlich im beigelegten „Single-Treff“ ein exklusives Angebot an Wunschpartnern unterbreitet wird, ein prima Kontrastprogramm, wenn Sie von den biederen Heiratskandidaten in der Zeit schon genügend durchprobiert haben.

Wir sind mobil und sportlich, und das wollen wir ewig bleiben. Unterstützt von so kompetenten Beratern wie Henry Maske und Franzi van Almsick, von Sportärzten, Tourismus-Experten und Ernährungswissenschaftlern nutzen wir jede Chance.

Denn: So schön die Welt ist, sie ist es nur für uns Junge, Fitte, Knackige. Die Models, die Modelle, an denen wir uns nicht nur outfit-mäßig orientieren, sind 17 Jahre alt. Haben wir die 20 überschritten, droht schon das Altenheim. Wer die 40 passiert hat, ist jenseits von Gut und Böse. Und was dann kommt, daran wollen wir lieber nicht denken.

Wir sehen's lieber positiv und ächzen auf dem Hometrainer fit und spaßig dem Ende entgegen. Anne Buhrfeind