Mein Bauch gehört "Brigitte"

■ "Anna", "Laura" und "Lisa" haben ein neues Schwesterchen bekommen: die Frauengazette "Allegra"

365 Sonnenaufgänge lang wollen sie laut Editorial gekreißt haben, bis die RedakteurInnen der neuen Frauenzeitschrift ihr Töchterchen auf 260 Seiten herausge- press-t hatten. Anfang der Woche ist Allegra (lat.: die Lebhafte) nun mit 500.000 Exemplaren ins Hochglanzleben entlassen worden.

„Das Lebensgefühl der jungen, intelligenten Frauen zwischen 20 und 34 treffen“ will der Springer- Verlag mit der neuen Monatszeitschrift. „Frauen & Schuhe – der ganz normale Wahnsinn“ kündigt der Titel allein die Beilage zum Heft an, in dem sich dann die einzig witzigen Gedankensplitter des ganzen Heftes verstecken: Renommierte Schuhdesigner wie Stephane Kélian führen ihre Stöckelschuhe selbst vor.

Im übrigen können geschulte Brgitte-Leserinnen die „unverwechselbare Themenvielfalt“ von Allegra schon im Schönheitsschlaf herbeten: Fashion („Hinten muß es sitzen“) und Beauty („Sexy Arms“), Love & Sex („Wie wirke ich auf Männer?“) und Service („Future Job: Video-Journalistin“), Trends („Was gerade an- und abgepfiffen ist“) und Characters und Clips und Clips und Clips.

Allegra ist eine jener Gazetten, die der weiblichen Hälfte der Welt mit einem Mal gleich im halben Dutzend als „neu“ verheißen wurden. Obwohl es schon über 40 sogenannte Frauentitel gibt. Hoffnungsvoll glaubte die Frankfurter Rundschau deswegen schon: „Die Zeitungsmacher entdecken die Frauen neu.“ Aber was die Verlagsherren bisher frisch auf die Tresen der Zeitschriftenläden warfen, ist beleidigend dünn: Sei es nun Lisa aus dem Hause Burda oder Laura aus dem Bauer-Verlag, Joy von der Schweizer Verlagsgruppe Jürg Marquard oder Young Miss von Gruner + Jahr. Was dann Yoyo (noch mal Bauer) am 29. März und Amica (Milchstraße) vermutlich im Mai nachlegen, wird wohl nicht viel origineller. Vom ganz platten Billigaufguß („Alles drin“) für eine Mark bis zum zeitgeistig gestylten für fünf Mark: neu entdeckt wird hier nichts und niemand. Außer vielleicht das altbewährte Erfolgsprinzip Dummenfang mit bunten Bildern.

Die Seiten, so übervoll, daß man fürchtet, Bilder und Buchstaben könnten über den Rand quellen wie die Marmelade bei einer zu dick geschmierten Stulle, rühren Lisa und Laura nur noch einmal mehr um und kochen dann all die Frauen-Fertigbrei-Rezepte der anderen nach: Kleider, Kleider, Kleider („die wichtigsten“, „die lässigsten“ oder ähnlich), mit Fotos, die aussehen, als kämen sie direkt aus den Versandhauskatalogen. Kauf- Kosmetik und Frisuren, mal mit, mal ohne Uralt-Tips der Marke „Schön und fit mit...“ – wahlweise Milch, Möhre oder Franzi von Almsick.

Das dritte „K“, Kochen, fehlt genausowenig wie die als „Service“ getarnte Reisereklame – für den Harz, Jamaica, Disneyland oder wo sonst gerade dringlichst nach zahlenden Urlaubern verlangt wird. Unvermeidlich scheinen auch die Standards der Abteilungen „Lebenshilfe“ (Psychotest / Abschied von Mama / Wieviel Sex ist normal?) oder „Schicksale“ (Mann wird Frau / Ahnungslose Geschwister heiraten) – Dutzendware, die Agenturen nach dem Baukastenprinzp für alle möglichen Zeitschriften jahraus, jahrein immer wieder ein bißchen anders anhübschen. Recyclingware aus Altpapier also, das man Arglosen nochmals andreht, getreu der alten Flohmarkt-Faustregel, wie sie die Zeitschriftenverkäuferin am Bahnhofskiosk bestätigt: „Wenn es nur eine Mark kostet, kaufen die Leute alles.“

Nicht zufällig wurden die beiden Gazetten Lisa und Laura getauft. 1994 führten diese Mädchennamen die Namens-Hitliste an. Die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ recherchiert die Vorlieben der jungen Eltern regelmäßig bei den Standesämtern. Zu dem Spielchen mit den Namen als Sympathieträgern greifen die Marktstrategen der Zeitschriftenverlage, seit Brigitte das in den Fünfzigern mit Erfolg erdacht hatte. Und besonders für Laura kam die neue Liste gerade recht. Sie war nämlich zuerst Anja getauft worden, mußte aber eilig umbenannt werden. Das hatte Bauer-Konkurrent und Lisa- Besitzer Burda gerichtlich erzwungen, weil er auch eine Zeitschrift namens Anna im Sortiment hat und fürchtete, die neue Anja werde nun mit seiner alten Anna verwechselt.

Wie Allegra spielt dagegen der Titel Joy mit dem Signal „Lebensfreude“. Weshalb dort das Altbekannte einfach „Enjoy Mode“, „Enjoy Body“, „Enjoy Digital“ und so weiter heißt. Nicht ganz so billig zusammengeschustert, dafür gleich um vier Mark teuer, hält sich der versprochene Spaß allerdings in Grenzen. „Die journalistische Welt neu erfinden konnte und wollte man nicht“, zitiert das Branchenblatt Horizont Ober-Enjoyerin Isabell Flohr. Eine glatte Untertreibung. Zwischen den wild wuchernden Reklameseiten fallen die sch(m)alen redaktionellen 20-Zeiler-Diät-Häppchen praktisch nicht ins Gewicht.

Young Miss (junges Fräulein) und Amica (Freundin) schließlich sind Importware. Substanzverwertung von Verlagsbeständen aus Amerika die eine, die andere aus Italien. Denn warum sollte, was sich in New York oder Rom verkaufen läßt, nicht auch in Nürnberg und Rostock an die Frau zu bringen sein? Sei's drum.

Um die Frauen geht's dabei auch weniger um ihrer selbst willen. Dafür um so mehr um Manager-Machismo, Gewinne und die Kontinuität von beidem. Denn die Zampanos an der Spitze der Presseriesen zetteln immer öfter wahnwitzige Materialschlachten an – nur um sich gegenseitig „eins zwischen die Hörner zu geben“, wie G+J- Chef Gerd Schulte-Hillen jüngst zitiert wurde. Vor zwei Jahren bekriegten sie sich mit billigen Programmblättern, dann mit Info-Illustrierten, zuletzt Programmzeitschriften. Warum es jetzt unbedingt das Frauen-Feld sein mußte, verriet Holger Busch vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger: „Frauenzeitschriften gehören zu den lukrativsten Anzeigenmärkten“, erklärte Busch dem Handelsblatt, „denn in den deutschen Haushalten entscheiden vor allem Frauen, welche Produkte gekauft werden.“ Und welche nicht. Ulla Küspert