Der Chef als Klimakiller

■ Ein gutes Arbeitsklima spart Millionen, behauptet Unternehmensberater Bernd Bitzer. Seit Jahren schult er Chefs im „Rückkehrgespräch“

Manchmal ist Grete M. krank. Dann fehlt sie wochenlang im Betrieb. Aber neulich, als sie die schwere Grippe gerade auskuriert hatte, wäre Grete M. an ihrem ersten Arbeitstag fast schlagartig wieder krank geworden. Schuld war der Chef. Anstatt sich über ihre Genesung zu freuen, sprach er von „zuviel Fehlzeiten“ und davon, wie unangenehm sowas sei – „für die Firma, aber möglicherweise auch für Sie, Frau M.“

„Da hat der Chef einen Fehler gemacht“, sagt zu diesem Fall Bernd Bitzer. Er ist Ökonom und schwört auf gutes Arbeitsklima. Den feinen Unterschied zwischen Motivation und Drohung kann man lernen, sagt er, und trainiert deshalb Vorgesetzte im „Rückkehrgespräch“. Sowas wäre auch die Lösung für Grete M. und ihren Chef gewesen, meint er.

Was ist ein Rückkehrgespräch?

Bernd Bitzer: Ein Führungsinstrument. Das sollte jeder Vorgesetzte mit jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter nach Abwesenheit einsetzen – auch nach einem dreiwöchigen Urlaub beispielsweise. Das Rückkehrgespräch hilft, die Person wieder in den Betrieb zu integrieren. Es geht darum, den Mitarbeitern zu zeigen, daß man sich für sie auch als Personen interessiert.

In ihren Seminaren geht es doch aber vor allem um krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Ja, sonst würden die Unternehmen ja kein Geld dafür ausgeben. Teilnehmer erhoffen sich natürlich, Fehlzeiten abzubauen. Denn die meisten Abwesenheiten in den Betrieben entstehen durch Krankheit – und Krankheit hängt in vielen Fällen mit den Arbeitsbedingungen zusammen: Da herrscht an dem einem Arbeitsplatz Zugluft, am anderen Hitze, beim dritten regnet es durchs Dach. Erschwerend kommt dazu ewiger Streß – und das Verhalten des Vorgesetzten selbst. Eine Reihe von Untersuchungen belegen, daß Fehlzeiten häufig mit dem Vorgesetzten-Verhalten zu tun haben.

Im Klartext: Der Chef macht krank?

Ja, oft. Manche Chefs demotivieren ihre Mitarbeiter förmlich. Wie im Falle Ihrer Frau M. Die kam zurück an den Arbeitsplatz, wurde dort ungeschickt angesprochen – und schon ging der krankmachende Ärger wieder los, die Frau gerät unter Druck. Es kann doch nicht darum gehen, Jagd auf Kranke zu machen. Krankheitsursachen sollten stattdessen identifiziert und abgebaut werden – und wenn die im Verhalten der Vorgesetzten begründet liegen, kann man durch Schulungsmaßnahmen etwas verbessern.

Wie biegen Sie den Chefs denn bei, daß sie böse Fehler machen?

In den meisten Fällen gibt es ja hohe Fehlzeiten im Betrieb, deshalb kommen sie. Bei mir erfahren sie, daß möglicherweise sie selbst oder andere Vorgesetzte mit diesen Fehlzeiten in Zusammenhang stehen.

Wie ist die Reaktion darauf?

Eigentlich immer positiv.

Und dann...

...trainieren wir im zweitägigen Seminar Gesprächsführung. Man muß lernen, sich den Mitarbeitern behutsam zu nähern und auch Interesse an ihnen zeigen. Wer denkt, daß es nur um eine Arbeitskraft geht, liegt falsch. Die Anonymität, die durch die Rationalisierungen der letzten Zeit zugenommen hat, kann ein bißchen aufgehoben werden. Die Voraussetzungen dafür kann der Vorgesetzte lernen: zum Beispiel ohne Vorurteile ins Gespräch zu gehen. Das heißt, auch wenn jemand am Freitag krank wurde, aber am Montag wiederkommt, muß man sich die Vermutung „blaugemacht“ aus dem Kopf schlagen.

Statistisch gesehen sind die Krankenstände in den letzten Jahren gesunken. Daraus ziehen viele Arbeitgeber doch genau die Bilanz, daß viele Leute früher „blaugemacht“ haben.

Ich meine, daß ist ein Fehlschluß. Zur Zeit gehen viele Leute aus Angst vor Arbeitsplatzverlust zur Arbeit, obwohl sie eigentlich krank sind. Wir merken das auch: Produktionsbetriebe interessieren sich heute viel weniger für unser Seminarangebot als früher. Stattdessen legt der Dienstleistungssektor mit „Rückkehrgesprächen“ zu: Krankenhäuser, Kassen, Kaufhäuser. Aber langfristig wird der Druck doch wieder auf alle Betriebe zurückfallen, höhere Fehlzeiten werden wiederkommen. Schon weil die Leute jetzt so viel aushalten müssen – dabei könnte man in einem gelungenen Rückkehrgespräch auch viel Druck rausnehmen.

Mein Chef, mein guter Freund – und schon steigt die Arbeitsleistung?

Natürlich kann man nicht davon ausgehen, daß sich jemand verändert, der seinen Laden dreißig Jahre autoritär geführt hat. Viel wichtiger ist es, Leute zu bestärken, die gut führen, ohne es selbst zu wissen. Davon gibt es einige. Die müssen merken, daß sie auf dem richtigen Weg sind, das bringt neue Perspektiven. Ich habe schon erlebt, daß Vorgesetzte auf die Vorschläge und die Kritik ihrer Mitarbeiter eingehen – und zugeben, wie wichtig das für sie ist. Wenn die Angst abgebaut wird, daß bei guter Führung Autoritität verloren geht, ist viel gewonnen. Es gibt doch viele kompetente Mitarbeiter, die in Vereinen oder sogar eigenen kleinen Firmen Verantwortung übernehmen – aber kaum sind sie im Betrieb, haben sie das Gefühl, daß sie ihre Kreativität an der Stechuhr ablegen müssen.

Noch gibt es zuwenige Firmen, die Führung als eine strategische Aufgabe sehen, die ständiges Training braucht. Da mache ich beispielsweise mit Erfolg eine Schulung und die Fehlzeiten sinken, meinetwegen von zehn auf sieben Prozent Abwesenheit. Das bringt Einsparungen von rund einer Million Mark Lohnfortzahlung jährlich, je nach Betriebsgröße. Aber damit ist mancher Betrieb schon zufrieden – und wir hören erst wieder von ihnen, wenn die Fehlzeiten wieder steigen. Oft fehlt da noch die Einsicht in ein geändertes Gesamtkonzept.

Fragen: Eva Rhode

Bernd Bitzer arbeitet als freischaffender Ökonom in Ritterhude. Am 6./7. April ist er Referent am „Zentrum für Weiterbildung“ an der Universität Bremen.