Nachschlag

■ Politisches Jugendtheater im Haus der Kulturen

Ein Troß von ImmigrantInnen bewegt sich vom Zuschauerraum in Richtung Bühne, mit Koffern und Bündeln bepackt. Letzter in der Kolonne ist ein Straßenkehrer. Er beseitigt die Spuren auf dem Weg ins Gelobte Land. Das heißt Deutschland und ist ein unwirtlicher Ort. Ein Kapo im weißen Doktorenkittel empfängt die Einwandererschar, leuchtet ihnen mit der Taschenlampe in den Mund, wie auf dem Pferdemarkt. An der Seite sitzt stumm Gevatter Tod und schrammelt dissonante Weisen. Schon in der nächsten Szene geht es aufs Ganze. Aus einer Gruppe fröhlich schwatzender Frauen wird eine hinterrücks erschossen. Der Täter bleibt unsichtbar, aber man kann sich denken, wer es war. Einer aus jenem braunen Bodensatz, für die Mölln, Solingen und Hoyerswerda als Synonym stehen.

Wie ein Passionsspiel beginnt „Warten auf gestern im Ghetto“. Doch wer hinter dem emphatischen Titel eine tränenschwangere Befindlichkeitsstudie der von Ausländerfeindlichkeit Betroffenen vermutet, täuscht sich gründlich. Was das Mythos-Theater auf die Bühne des Hauses der Kulturen der Welt bringt, ist eine ebenso wütende wie lustige Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation. In einer wilden Mischung aus Musical, Kabarett, Politthriller und Klamotte werden Hilflosigkeit und blinde Rächermentalität auf seiten der hier lebenden Ausländer genauso aufs Korn genommen wie die schmerbäuchige Arroganz der Deutschen. Auch die autonome Szene mit ihrer Hau-drauf-Mentalität kriegt ihr Fett weg.

Fünfzehn Akteure auf der Bühne, dazu eine vierköpfige Band und drei Breakdancer, nochmals die gleiche Anzahl an Mitarbeitern hinter den Kulissen. Drei Jugendtheatergruppen aus Weddinger und Kreuzberger Kulturzentren haben sich zu diesem Mammutprojekt zusammengetan. Türken, Deutsche und ein Spanier stehen gemeinsam auf den Brettern. Unter der Anleitung des Profiregisseurs Yalçin Baykul, der ansonsten als Kursleiter in Volkshochschulen arbeitet und auch schon im Tiyatrom inszeniert hat, haben sie in sechsmonatiger Arbeit Erstaunliches zustande gebracht. Diskriminierung und Angst werden genauso beschrieben wie die schwierige Lebenssituation zwischen allen Kulturstühlen. Jede Menge Trauer und Wut kommen da zum Vorschein. Aber auch die Bereitschaft, für bessere Zeiten zu kämpfen. Nur geht das nicht ohne Unterstützung. Das ist hier zwar nicht unmittelbares Thema, aber doch unausgesprochene Quintessenz. Gerd Hartmann