■ Zum Entwurf eines „Ausländerleistungsgesetzes“
: Die nicht!

Sinn und Ziel sozialstaatlicher Politik ist Integration. Die verschiedenen Formen der kollektiven sozialen Sicherung sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses: Wir übernehmen füreinander Verantwortung. Wie diese wahrgenommen wird, hängt von einer Verständigung der Gesellschaft darüber ab, wer zu ihr gehört und Anspruch auf ihre Solidarität hat. Der Entwurf für ein „Ausländerleistungsgesetz“ anstelle des alten „Asylbewerberleistungsgesetzes“ leistet nun einen Beitrag zu dieser Selbstverständigung der deutschen Gesellschaft. Die vermeintliche Bedrohung des Sozialstaats durch Zuwanderung hat längst den Weg in die Vergessenheit angetreten, da haucht Minister Seehofer ihr neues Leben ein. Seit Wochen schon wies er fast täglich auf den vorgeblichen Skandal hin, daß jeder dritte Sozialhilfeempfänger AusländerIn sei. Damit wurde der Boden bereitet für den jetzt bekanntgewordenen Entwurf, der eine gesetzlich sanktionierte Spaltung von Deutschen und AusländerInnen zur Folge hat.

Es ist nicht die quantitative Ausdehnung des betroffenen Personenkreises allein, die den Skandal ausmacht. Bemerkenswert ist, daß Personen in die unwürdige Versorgung mit Sachleistungen einbezogen werden sollen, die seit Jahren hier leben. Das Asylbewerberleistungsgesetz war ursprünglich zur Abschreckung von Neuankömmlingen gedacht. Inzwischen kommen wegen der Schließung der Grenzen immer weniger Menschen ins Land. Das Gesetz drohte überflüssig zu werden. Das Ministerium strebt aber nicht seine Abschaffung, sondern statt dessen eine neue Sinngebung an. Da hat wohl jemand den langgesuchten Zugang zur systematischen Deklassierung von AusländerInnen gesucht und gefunden.

Es ist empörend genug, daß Menschen, die seit sechs und mehr Jahren hier leben, nun wieder wie unerwünschte Eindringlinge behandelt werden sollen. Daß man ihnen die ohnehin magere Sozialhilfe kürzt – die viele nur deshalb in Anspruch nehmen müssen, weil sie einem mehrjährigen Arbeitsverbot unterliegen und weil ihnen bei den Sparoperationen der letzten Jahre Kinder- und Erziehungsgeld gestrichen wurden – ist von bemerkenswerter Perfidie: Erst macht man eine große Zahl von Menschen zu Sozialhilfebedürftigen, um sie dann dafür zu bestrafen.

Aber hier geht es um mehr als eine neue Demontage von Sozialleistungen. Hier wird recht systematisch ein eigenständiges Gesetzeswerk für Ausländer eingeführt. Der neue Titel ist dafür nur ein Anhaltspunkt, entscheidend ist die Aufnahme von allgemeinen sozialrechtlichen Bestimmungen sowie von Regelungen analog zum Bundessozialhilfegesetz. Aus dem ursprünglichen Sondergesetz für eine spezifische Situation wird damit ein selbständiges Regelwerk neben den Leistungsgesetzen für Deutsche.

Um Geld geht es nicht. Die erhofften Einsparungen entsprechen ungefähr den Kosten für die steuerliche Absetzbarkeit von Bewirtungskosten. Der Konflikt um Migration und Sozialstaat ist keine materielle Frage, sondern hier muß eine Gesellschaft entscheiden, wer zu ihr gehört. Der Gesetzentwurf sendet das Signal: Die nicht! So wird das sozialstaatliche Instrument der Sozialhilfe von einem Integrationsangebot zu einer Waffe im rassistischen Diskurs. Andrea Fischer

Sozialpolitische Expertin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne