■ Strafverteidigertag warnt vor dem „kurzen Prozeß“
: Alles halb so schlimm?

Einmal im Jahr verteidigen die deutschen StrafverteidigerInnen nicht ihre MandantInnen, sondern ihren Berufsstand und ihre Vorstellung von einer „freiheitsorientierten Kriminalpolitik“. Dieses Ereignis nennt sich „Strafverteidigertag“ und fand am Wochenende in Freiburg statt. Jahr für Jahr spielen die AnwältInnen dabei mit großem Pathos ihre Rolle als Antipoden der reaktionären CDU/CSU-Innen- und RechtspolitikerInnen: Während jene eine übertriebene Kriminalitätsfurcht schüren, um anschließend mit den probaten (und billigen) Mitteln der Strafrechtsverschärfung und der Prozeßbeschleunigung die erweckten Emotionen zu bedienen, warnen die StrafverteidigerInnen turnusgemäß davor, mit dem Strafrecht und der Forderung nach „kurzem Prozeß“ symbolische Politik zu betreiben.

Doch während der Ton in der (Kriminal-)Politik immer härter wird, bleibt das Klima in den allermeisten Gerichtssälen der Republik immer noch fair. Je kleiner die Stadt, um so stabiler das Beziehungsgeflecht. Man kennt sich, achtet sich und hält sich im wesentlichen an die Grundprinzipien des fairen Strafprozesses – das gilt meist auch dann, wenn es um ausländische Angeklagte geht. Den Gesetzesaktionismus der Law-and-order-PolitikerInnen nimmt man nicht allzu ernst, eher verachtet man gemeinsam diejenigen, die auf solch durchsichtiges Schmierentheater hereinfallen. RichterInnen können eben nicht gezwungen werden, all die neuen Instrumente des schneidigen Strafprozesses auch anzuwenden.

Also alles halb so schlimm? Sind die Warnungen der Strafverteidiger überzogen, weil die Steuerungsfähigkeit der Politik nicht nur bei der Beseitigung von Kriminalität und ihren Ursachen versagt, sondern schon bei der gezielten Beeinflussung des staatlichen Justizsystems überfordert ist? Leider nein. Entwarnung ist nicht angesagt, denn das relative rechtsstaatliche Reservat ist sehr verletzlich. Schließlich bleibt der für die Kriminalitätshetze anfälligere Teil der Gesellschaft nicht außen vor, wenn RichterInnen, StaatsanwältInnen und VerteidigerInnen das „angemessene“ Urteil ausknobeln. Da gibt es die NebenklägerInnen, deren Strafbedürfnis unter den atmosphärischen Veränderungen der letzten Jahre stark gewachsen ist. Und da sind die PolizistInnen, die nach Beendigung ihrer ZeugInnentätigkeit sehen wollen, wie die von ihnen vernommenen oder aufgegriffenen Angeklagten nach dem Prozeß hinter Schloß und Riegel verschwinden.

Das Verständnis für milde Urteile und Bewährungsstrafen ist drastisch geschwunden, die Kritik am Gefängnissystem kaum noch vorhanden, obwohl dieses wenig mehr als gesellschaftliche Selbstzufriedenheit und RückfalltäterInnen produziert. Oft ist ein Erwartungsdruck auch im Gerichtssaal greifbar, dem immer wieder, schon „um des Vertrauens in den Rechtsstaat willen“ nachgegeben wird.

Aber auch der Staat könnte künftig wirksamer in den Strafprozeß eingreifen, indem er Parallelinstitutionen für den „kurzen Prozeß“ zu schaffen beginnt. Vorreiter ist hier Berlin, wo verstärkt Bereitschaftsgerichte geschaffen werden, um massenhafte Schnellverfahren für in flagranti ertappte TäterInnen zu ermöglichen. Deshalb haben die Warnungen der StrafverteidigerInnen eben doch einen sehr realen Hintergrund. Es fragt sich nur, wie es ihnen gelingen kann, endlich auch die Kanthersche Klientel besser anzusprechen. Christian Rath