Der letzte Held ist Käptn Blaubär

■ Wie jedes Jahr: wenn die Politikers toten Fisch unters Volk bringen

Alle Jahre wieder am Montag nach Lätare greifen In Verden Prominente in die Heringstonne, um glitschigen Fisch und hartes Schwarzbrot an das Volk zu verteilen. Angeblich erfüllen sie damit ein Vermächtnis des legendären Seeräubern Claus Störtebeker, der diese Speisung „der Armen und Beamten der Stadt“ – schon mit dem Kopf unterm Arm – verfügt haben soll. in Wirklichkeit handeln die Promis natürlich im Auftrag des Fischwirtschaftlichen Marketing-Instituis und des Fremdenverkehrs, und auch die Eigenwerbung kommt nicht zu kurz. Zwei der drei HeringsverteilerInnen haben das bitter nötig; der Bremer AIlround-Senator Henning Scherf und die niedersächsische Frauenministerin Christine Bührmann. Für Scherf geht es bekanntermaßen um die Frage, ob er und die Seinen nach dem 14. Mai überhaupt noch etwas zu verteilen haben. Für Christine Bührmann geht um ihren Kopf als Ministerin, auf den es Landeschef Gerhard Schröder hartnäckigen Gerüchten zufolge abgesehen hat. Der dritte im Bunde, Michael Glos, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion in Bonn, konnte es dagegen völlig locker angehen lassen.

Heringe verteilen ist noch das Geringste, was von den Gästen erwartet wird. Die Gummihand- schuhe können sie ausziehen, wenn alle Fotos gemacht sind. Dann aber sollen sie vor den versammelten Honoratioren launige Reden halten.

Nun kann man sich gut vorstellen, wie launig Henning Scherf drauf ist, vor diesem Publikum, in diesen Zeiten, am Montag nach diesem Parteitag. Nett und ernsthaft appellierte er an gute Nachbarschaft mit den Niedersachsen (GastschülerInnen-Regelung), und erzählte Glos, daß er ihn von Anti-Strauß- Demos kenne, heute jedoch nicht mehr mit Farbbeuteln werfe. Aber darüber konnte in Verden keiner so recht lachen.

Gefragt war im Saal die flotte Adaption der Seeräuber-Saga für die eigene Partei und Politik, mit lacherfähigen Seitenhieben auf den politischen Gegner. Und da war Michael Glos eindeutig der Abräumer. Der schwäbische Müllermeister machte Störtebeker mit rhetorischer Verve zum Vorkämpfer der Devise „Schlanker Staat, fette Beute“, zum „Edmund Stoiber des Mittelalters“.

Die Niedersächsische Frauenministerin Christina Bührmann konnte in ihrem Heimatwahlkreis endlich einmal einen frauenpolitischen Durchbruch feiern, der selbst Vorgängerin Waltraud Schoppe nicht gelungen war: Als erste Frau in der Geschichte durfte sie Störtebekers Heringe verteilen, und anschließend vor versammelter Mann-Schaft seinen Freibeuter- Mythos filetieren. Fazit: Auch heute noch träumt der Mann von Freiheit und Abenteuer. Doch als letzter Held bleibt einzig „Käpten Blaubär“ (der aus der Sendung mit der Maus). Ob sie bei dieser Demontage wohl auch ein bißchen an Gerhard Schröder gedacht hat? Annemarie Struß-von Poellnitz