Kleine Nachtmusik mit Kniefiedel

■ Mitreißende „Spielleut“, aber ein zerfranstes Konzept: ein Rückblick auf die „Pro Musica Antiqua“

Am Wochenende ist die 18. „Pro Musica Antiqua“ von Radio Bremen zu Ende gegangen, diesmal ein „internationaler Spielleytreff“ mit siebzehn Konzerten und elf Gruppen. Einerseits ist es außerordentlich, daß diese Musik überhaupt einmal in einen größeren repräsentativen Rahmen gestellt wird und sie ihr Dasein nicht nur der Existenz von Weihnachtsmärkten und den modischen Burgfestivals verdankt. Da die Quellenlage zwar unterschiedlich, aber insgesamt schlecht ist, ist die Qualität der Gruppen zu einem hohen Prozentsatz einzig und allein daran zu entscheiden, mit welchem dramaturgischem Aufbau, welcher Spannung, welcher Präsenz die unterschiedlichen Gruppen ihren Abend aufbauen. Und da war von der biederen Hausmannskost von „Dulamans Vröudenton“ aus Salzburg bis zu den explosiven „Tre Fontane“ aus Bordeaux in nahezu allen Schattierungen etwas zu hören.

Ausgesprochen interessant, festzustellen, wie relativerbar auch sehr solide und durchaus unterhaltsame Leistungen werden, wenn so viele Vergleichsmöglichkeiten da sind. Sehr empfindsam zeigte sich Andrew Lawrence-King mit seinem Harfen-Consort; deftig und frech, voller gut gemachter Animationen wirbelte „Saltarello“ aus Dreisbach durch das Zelt am Brommy-Platz; Akrobatik und Gaukelein führten uns „Die Ungelichen“ aus Hölingen vor. Und dann meinten es die braven „Spielleut“ aus Stuttgart eher gut als sie es machten. Höhepunkt der durchweg gut besuchten Veranstaltungen war die mittelalterliche „Gasterey“, mit der eine vergessene Tradition aufgenommen wurde: ein von Musik begleitetes, mehrgängiges Festessen.

Doch so reich, bunt, lustig, anregend das Angebot auch war: Hier wurde auch die Chance vertan, das Repertoire nach Gattungen oder Ländern zu sichten, zu bündeln und in einer bestimmten Systematik anzubieten. Das wäre keineswegs weniger unterhaltend gewesen. So purzelte alles durcheinander, soziologisch wie musikalisch. Musik der „Spielleut“ war das behauptete Thema, aber darunter faßte man munter alles, was von 1100 bis 1700 als Tänze, Volkslieder, Minnelieder, Chansons am Hof und in den Städten, auf dem Land und auf den Pilgerwegen vielleicht geklungen haben mag. Die Spitze war natürlich der furiose Auftritt des Petersburger „Terem-Quartettes“, das „leider nichts Altes gefunden hatte“: Ab ging die Post mit der „Kleinen Nachtmusik“, Schuberts „Ave Maria“, Tanzmusik und dergleichen mehr. Macht nichts, auch Spielleut - warum nicht?

Nicht die mindeste Information aber gab das Festival darüber, wann etwa die Notationen angefangen haben, wann diese Musik mehrstimmig wurde und welche Instrumente, die ja heute nach Bildmaterial rekonstruiert werden müssen, es überhaupt gegeben hat. Offen blieb auch, wie die Musizierunterschiede – soziologisch betrachtet – in den vertretenen Ländern Frankreich, Spanien, England, Italien und Deutschland eigentlich waren. Diese frühe Musik erfüllt stärker als andere später jemals so viele verschiedene Funktionen, daß es mehr als schade ist, dies alles ineinanderzuknäulen. Aber: „Erlaubt ist, was gefällt“ war das Motto, und da fällt dann auch nicht mehr auf, daß es bei dem Essen auch nicht so ganz stimmte: „Erdepfelin“ hat es im Mittelalter in Europa noch nicht gegeben. Und ein Anachronismus ganz besonderer Art waren die Martinshörner und quietschenden und bimmelnden Straßenbahnen der Hamburger Straße: Nicht jeder Lautenspieler fand das witzig.

Warum nicht zum Beispiel mit diesem Einsatz – das Festival war ansonsten hervorragend organisiert und präsentiert – und diesen Mitteln etwas bieten, was eine kulturpolitisches Ereignis wäre: zum Beispiel die Aufführung eines regelrechten „Gesamtkunstwerks“ wie des „Roman de Fauvel“, einer Lieder- und Gedichtsammlung aus dem Frankreich des frühen 14. Jahrhunderts, die ebenso kirchen- wie gesellschaftskritisch ist? Trotzdem sei zugegeben, und das ist kein Widerspruch zur Kritik: Das Festival hat viel Spaß gemacht und verträgt eine inhaltlich anders aufbereitete Weiterführung.

Ute Schalz-Laurenze