Polen-Flagge auf der Quadriga

■ "Die Rächer Warschaus auf den Trümmern Berlins": Polen, bei der Feier zum 50. Jahrestag des Kriegsendes unerwünscht, waren an der Befreiung Berlins beteiligt

Bundeskanzler Kohl fragt, warum neben den vier Alliierten auch der polnische Staatspräsident zu den Feiern anläßlich der Befreiung Deutschlands vom Faschismus eingeladen werden sollte. Hier ist die Antwort: Polen war nicht nur das erste Opfer der Nazis im September 1939, sondern es haben neben den sowjetischen Truppen auch über 170.000 polnische Soldaten an der Befreiung Berlins mitgewirkt, davon etwa 12.000 bei den Straßenkämpfen in der Innenstadt.

Polen kämpften in allen Teilen Europas, viele von England aus, wo die polnische Exilregierung ihren Sitz hatte, aber auch im Osten mit den sowjetischen Truppen und als Partisanen im Heimatland. Sechs Millionen Tote, davon etwa 125.000 gefallene reguläre Soldaten und Partisanen, hatte das polnische Volk zu beklagen. Verständlich, daß die polnischen Soldaten in einer Kampfpause an eine Berliner Hauswand unter die Parole „Berlin muß deutsch bleiben“ den Spruch setzten: „Die Rächer Warschaus auf den Trümmern Berlins!“ Wenige Monate zuvor, im Oktober 1944, war die polnische Hauptstadt nach der Erhebung gegen die Besatzer dem Erdboden gleichgemacht worden.

An der großen Endoffensive der sowjetischen Truppen, die am 16. April 1945 mit dem Sturm auf die Seelower Höhen begann, waren zwei polnische Armeen beteiligt. Die 1. Polnische Armee kämpfte nordöstlich von Berlin zusammen mit der 1. Belorussischen Armee unter Marschall Schukow. Die 2. Polnische Armee war Bestandteil der 1. Ukrainischen Front unter Marschall Konew, südlich von Berlin. Polnische Truppen standen im Norden und Nordwesten Berlins bei Hennigsdorf, Birkenwerder, Oranienburg und Nauen, als sich am 24. April 1945 der Ring um die Stadt schloß. Die polnischen Fußtruppen waren in Spandau und vorwiegend in Charlottenburg, Moabit und Tiergarten eingesetzt.

Besonders schwere Kämpfe gab es um den Karl-August-Platz in Charlottenburg, die Technische Hochschule und den S-Bahnhof Tiergarten. Am Karl-August-Platz war denn auch der erste „Straßenfriedhof“ zahlreicher gefallener Soldaten des polnischen 1. Infanterieregiments.

Eine besondere symbolische Bedeutung hatten für die polnischen Truppen die Siegessäule und das Brandenburger Tor. Obwohl die deutsche Armee in Berlin am Morgen des 2. Mai kapituliert hatte, gingen die Kämpfe von einzelnen Truppenteilen auch im Tiergarten weiter. Am Morgen erreichten polnische Truppen die Siegessäule und hißten dort eine große bereit gehaltene polnische Fahne. Leutnant Troicki, der damals die Fahne anbrachte, berichtete später: „Wir hatten damals keine Ahnung, was dieses Denkmal bedeutet. Am Sockel der Säule sahen wir auf zerschossenen Reliefs nur marschierende deutsche Soldaten und Inschriften, die von einem ,Sieg‘ sprachen. Wir hatten gerade unseren eigenen Sieg errungen, und die Säule erschien uns hoch genug, um über der Reichshauptstadt die polnische Fahne aufzustecken. Hätten wir gewußt, was diese Säule bedeutet, hätten wir sie selbstverständlich gesprengt, schon den Franzosen zuliebe, obwohl wir damals für solche Sachen wenig Zeit hatten.“ Etwa gleichzeitig trafen sowjetische und polnische Soldaten am Brandenburger Tor zusammen, wo auf der Quadriga eine rote sowjetische und eine polnische weißrote Fahne angebracht wurden.

In Friedrichshain steht das einzige Denkmal, das an die Beteiligung polnischer Soldaten bei der Befreiung Berlins vom Hitler-Faschismus erinnert. Im Mai 1972 wurde am südlichen Rand des Parks das „Deutsch-Polnische Ehrenmal“ eingeweiht, ein von je zwei deutschen und polnischen Bildhauern konzipiertes bombastisches Denkmal, das an die polnischen Soldaten und die ermordeten deutschen Antifaschisten erinnern soll. Die Senatsverwaltung hielt das Denkmal für so unwichtig, daß sie es in ihrer Broschüre „Ausländische Ehrenfriedhöfe und Ehrenmale in Berlin“ nicht einmal erwähnt. Jürgen Karwelat