■ Starkes Geschlecht I
: Gegen den einsamen Suff die Kneipe

Ein Großteil des sozialen Lebens spielt sich in Spanien in Kneipen ab. Bars, Cafeterien und kleine Kneipen sind Treffpunkte und Diskussionsorte. Man wird dort zum Zuhörer und zum Redner über alles, was das öffentliche Leben anbetrifft. Und das normalerweise sehr friedlich und unaggressiv, denn diese Orte sucht sich jeder frei aus. Wenn die Leute ein bißchen angetrunken sind, werden sie freier und legen ihre Hemmungen ab. Alles ist dann einfacher, auch der Kontakt zu Unbekannten. Häufig beginnt man ein nächtliche Kneipentour mit einigen wenigen Freunden, dann trifft man unterwegs andere Bekannte, die sich der Gruppe anschließen. Manchmal schließt man auch spontan Bekanntschaft mit Fremden. Und am Schluß ist man mit ganz anderen Leuten zusammen als am Anfang.

Man könnte nun denken, der Alkoholismus sei in Spanien sehr hoch. Doch in Wahrheit ist der spanische Alkoholverbrauch einer der niedrigsten in Europa. In Kneipen zu trinken heißt nämlich, daß man nicht zu Hause trinkt. Man unterhält sich dabei mit anderen – und das ist das genaue Gegenteil vom einsamen Besäufnis vor dem Fernseher, wo man bloß alles schluckt, was einem da vorgesetzt wird.

In meiner Familie haben die Männer immer viel Geld in Kneipen ausgegeben. Und mein Großvater war Pferdehändler und verbrachte einen Großteil seiner Zeit in Kneipen, wo er häufig auch die Kaufverträge abschloß. Diese Angewohnheit meines Großvaters hat sich auf mich übertragen.

Früher waren nur die Männer in den Kneipen, inzwischen gehen auch Frauen dorthin. Doch meist übernehmen noch immer wir Männer das Bezahlen. Auch das hat mit der spanischen Tradition zu tun: Wer zahlt, fühlt sich edel, Großzügigkeit ist hier eine große Tugend. Wer stolz ist, will für andere bezahlen. Der Wunsch, großzügig zu sein, bringt allerdings viele von uns dazu, so viel Geld auszugeben, daß hinterher für das normale Leben nichts mehr übrigbleibt. Ich selbst habe häufig wochenlang Kartoffeln mit Butter gegessen, weil ich meinen Monatslohn in Kneipenrunden umgesetzt hatte.

Doch habe ich das nie bereut. Es scheint mir wesentlich besser, mein Geld in Kneipen auszugeben, als mir das neueste Fernsehermodell zu kaufen oder das bequemste Sofa. Der Fernseher kann kaputtgehen. Doch die Abende in den Kneipen kann mir niemand mehr nehmen. José Sánchez Cebollada

Der Autor ist ein spanischer Marktforscher und lebt in Saragossa