Mainz, wie es schreibt und wacht

Nachdenken über die gesellschaftliche Verantwortung von Journalisten: Achim Baums Buch „Journalistisches Handeln – Eine Kritik der Journalismusforschung“  ■ Von Katrin Greiser

Die jüngsten Attacken gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind, so scheint es, ohne Folgen verpufft. Den dezidierten Forderungen schwarzer Regierungs- und Landespolitiker, die elektronischen Medien an die Regierungsleine zu legen, entgegnete man von seiten der Angegriffenen mit wenig Konstruktivem.

Fernsehen, Rundfunk und liberale Presse begnügten sich mit Hinweisen auf die vielen ähnlichen, aber vergeblichen Versuche seit Adenauer und auf eindeutige Urteile des Verfassungsgerichts. Auf diesem Wege wird versucht, zu verschleiern, daß man auch ohne Eingriffe von oben auf dem besten Wege ist, sich in einem eigentlich unnötigen Vergleich mit den Privaten aufzureiben.

Auf die gesetzliche Zulassung privater Kanäle wird bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht mit verstärkter Profilierung reagiert, sondern mit der Annahme der Herausforderung zum Wettbewerb. Mit bloßem Auge lassen sich die Programmstrukturen von ARD und ZDF schließlich kaum noch von denen ihrer Werbekonkurrenten unterscheiden.

Machen die Verantwortlichen so weiter, wird angesichts dieser eintönigen Medienlandschaft bald auch der abgehärtetste öffentlich- rechtliche Junkie auf Gebührenentzug gehen. Das schöne Modell vom demokratischen Rundfunk ist obsolet, wenn sich dort keine gesellschaftliche Minderheit mehr repräsentiert sieht. Diese Entwicklung kann nur durch Konzentration auf Programminhalte und auf den ursprünglichen Auftrag der Rundfunkanstalten gestoppt werden. Journalisten und Redakteure müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und ihres Könnens bewußt werden.

Das Buch „Journalistisches Handeln – Eine Kritik der Journalismusforschung“ von Achim Baum gibt dazu Denk- und Handlungsanstöße. Sympathischerweise geht er davon aus, daß das Projekt der Moderne, nämlich die Verwirklichung der Vernunft durch kritische Aufklärung, noch längst nicht gescheitert ist und daß die Vorstellung von einer gerechten Welt keine Träumerei zu sein braucht. Jürgen Habermas' „Theorie des kommunikativen Handelns“, die eine „verborgene Rationalität im sprachlichen Verständigungsprozeß“ vermutet, ist die Basis seiner Untersuchung. In der sprachlichen Sphäre der „Lebenswelt“ liege die Chance, Vernunft zu verwirklichen und ihrem Gegenpart, der „entsprachlichten Systemwelt“, zu widerstehen. Der Journalismus, so Baum, der auf Sprache und der Fähigkeit zur Kommunikation basiere, sei also prädestiniert, den vernunftgebärenden Diskurs zu führen.

In zwei einleitenden Teilen nähert sich Baum seinem Thema. Zuerst stellt er die Aufgabe der Sozialwissenschaften und die darin eingebettete Publizistik in bezug auf gesellschaftliche Praxis dar. Anschließend wendet er sich der historischen Entwicklung und der Funktion von bürgerlicher beziehungsweise publizistischer Öffentlichkeit zu. Der Haupteil dieser Arbeit widmet sich der Analyse theoretischer Journalistikansätze nach 1945, die er, von Habermas ausgehend, kritisiert. Baum fordert, daß die Kommunikationswissenschaft „nach den verständigungsorientierten Potentialen journalistischen Handelns und nach den Mechanismen seiner Unterdrückung fahnden“ müsse.

Seine Ergebnisse sind bedeutsam für die Frage nach dem Grund für die labile demokratische Grundhaltung der medialen Öffentlichkeit in der BRD. In beiden Entwicklungen scheint sich das eine im andern gleichsam zu spiegeln. Der Autor beschreibt die Traditionen und Einflüsse der „Mainzer Schule“. Deren bekannteste Vertreterin, Elisabeth Noelle-Neumann, stehe für eine elitär- konservative Auffassung von Journalismus, der als mächtig und damit potentiell gefährlich gesehen werde.

Baum findet die Spuren dieser Ideen, deren Wurzeln bis ins Dritte Reich zurückreichten, selbst dort, wo man sich ausdrücklich zu einem demokratischen Verständnis verpflichtet habe. Einleuchtend und evident sind seine Kritiken an den Journalismus- beziehungsweise Publizistiktheorien von Ronneberger, Fabris und Gottschlich, Spinner, Langenbucher, Donsbach, Boventer und Rühl, die in der Tat den Ansprüchen einer Theorie der Aufklärung nicht genügen.

Leider ist das Buch für Nicht- SozialwissenschaftlerInnen relativ schwer lesbar. Gerade für die PraktikerInnen aber wäre es, aus den oben dargestellten Gründen, unbedingt notwendig, sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen. Baum versteht seine Arbeit als Einladung zu einer Diskussion über journalistisches Handeln, zu der er das Material aufbereitet hat. Es bleibt am Ende nur zu fragen, ob Habermas wirklich das Nonplusultra kritischer Gesellschaftstheorie darstellt, denn ihm geht es ja nur darum, den Einfluß des „Systems“ gegenüber der „Lebenswelt“ klein zu halten, nicht darum, das System selbst umzuwälzen.

Die dieses Problem ansprechende und von Baum formulierte „Kernfrage“, wie nämlich der „Journalismus die Kennzeichen einer kapitalistisch gesteuerten Modernisierung in sich aufnimmt, eben ohne seine Fähigkeit zur Kommunikation verformen zu lassen“, beantwortet sich auch mit Habermas nicht befriedigend. Journalistisches Handeln unterliegt den Zwängen eines Wirtschaftssystems, dem es eben um Profit und nicht um eine kritische Aufklärung geht.

Achim Baum, „Journalistisches Handeln“. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994