■ Warum die USA die türkische Invasion dulden
: Wachsendes Mißtrauen

Eine ebenso bizarre wie makabre Vorstellung: Zur gleichen Zeit starten Kampfflugzeuge aus amerikanischer Produktion von türkischen Militärflughäfen. Die einen werden von amerikanischen Piloten gesteuert, die Kurden in der UN-Schutzzone im Nordirak beschützen sollen. In den anderen sitzen türkische Piloten, die Kurden in der UN-Schutzzone im Nordirak bombardieren. Eine aberwitzige Situation, die bislang nur deshalb nicht eingetreten ist, weil derzeit alle alliierten Flüge zum Schutz der UN-Zone eingestellt worden sind.

„Bleibt nicht zu lange, und schießt nicht zu oft auf die Falschen“ – so läßt sich, frei formuliert, die Reaktion der USA zusammenfassen. Eine ebenso fromme wie unrealistische Hoffnung. Denn für jeden ist ersichtlich, daß hier Invasionstruppen mit dem Potential für eine längere Okkupation losgeschickt wurden. Und wohl erst wenn unabhängige Beobachter Zugang zu den Kampfgebieten in der „Schutzzone“ haben, wird man ermessen können, wie viele Zivilisten türkischen Bomben zum Opfer gefallen sind. „Collateral damage“, „Nebenschaden“, heißt das im Militärjargon.

Für die USA hat der Nato-Partner Türkei nun gleich mehrere Dilemmata geschaffen. Erstens ist die Clinton-Regierung innerhalb kürzester Zeit zum zweitenmal innenpolitisch unter Druck geraten, weil sie einem Verbündeten aus strategischem Kalkül Verstöße gegen Menschenrechte nachsieht. Beim erstenmal war es Boris Jelzin, dessen Stellung man nicht durch Proteste gegen russische Bomben auf tschetschenische Zivilisten unterminieren wollte. Jetzt ist es die Türkei, deren Loyalität – vor allem im Golfkrieg – man nicht mit Kritik quittieren will.

Zweitens gefährdet die Invasion die Strategie der USA in der Frage der irakischen Kurden: Während kurdische Ambitionen auf einen eigenen Staat als indiskutabel gelten, förderte man – gewissermaßen als Kompensation – den Aufbau einer kurdischen Selbstverwaltung in der „Schutzzone“. Der türkische Einmarsch ist folglich nicht nur ein militärischer Schlag gegen die PKK, sondern auch ein Affront gegen die irakischen Kurden, die UNO und die USA.

Am Ende sind es paradoxerweise nicht nur warme Bündnisgefühle, die das Verhalten der USA erklären, sondern auch wachsendes Mißtrauen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die Türkei Ambitionen auf die Rolle einer Regionalmacht mit „Interessen“ in Zentralasien, im Kaukasus und auf dem Balkan entwickelt, was die Aussichten auf Frieden und Stabilität in den Regionen nicht unbedingt fördern würde. Diese Ambitionen bleiben unerfüllt, solange der Krieg gegen die PKK im eigenen Land (bei gelegentlicher Überschreitung der Grenzen desselben) die türkische Armee absorbiert. In Washington hält man das für das kleinere Übel. Andrea Böhm