■ CDU-Sozialpolitiker Ulf Fink zur Sozialhilfereform
: „Den wirklich Bedürftigen helfen“

taz: Herr Fink, schon vor geraumer Zeit kündigte Gesundheitsminister Seehofer an, die Republik würde „in Flammen stehen“, sobald er seine Pläne zur Reform der Sozialhilfe vorstellt. Ist dem so?

Ulf Fink: Ich kenne dieses Zitat nicht, und ich denke auch nicht, daß der Bundesgesundheitsminister das so meint. Die Koalitionsvereinbarungen von CDU/CSU und FDP beinhalten, daß wir in dieser Legislaturperiode eine Sozialhilfereform durchführen. Inhalt dieser Reform soll auf der einen Seite eine bessere Möglichkeit sein, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger in Arbeit zu bringen. Zum zweiten muß das Einfrieren der Sozialhilferegelsätze bis Mitte nächsten Jahres beendet werden, sie müssen wieder erhöht werden. Und bei dem dritten großen Komplex geht es darum, dafür zu sorgen, daß die Sozialhilfe nicht mehr als Vorschußkasse für andere Sozialleistungssysteme mißbraucht wird.

Diese Reform, so die Vorwürfe an Seehofer, werden den Sozialstaat Stück für Stück abbauen.

Nein, wir wollen dafür sorgen, daß der Sozialstaat in einer zielgerichteten und sozial gerechten Weise umgebaut wird. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, daß den wirklich Bedürftigen geholfen wird. Zum Beispiel auch dadurch, daß wir dafür sorgen, daß den Sozialhilfeempfängern in Ostdeutschland nicht geringere Rechte zugemessen werden als denen in Westdeutschland. Und dafür muß man auf der anderen Seite dafür sorgen, daß der überbordende Ausgabenanstieg der Sozialhilfe in den letzten Jahren, der die Gemeinden in schwerste Bedrängnisse gebracht hat, gestoppt wird. Die Sozialhilfeausgaben werden trotzdem auch in Zukunft ansteigen.

Warum setzen geplante Reformen und Kürzungen ausgerechnet bei der Sozialhilfe an, also dort, wo landläufig die Ärmsten der Armen noch Unterstützung finden?

Wir haben ja schon große andere Systeme umgebaut. Zum Beispiel das Rentensystem, die Gesundheitsreform in der letzten Legislaturperiode, jetzt den Familienlastenausgleich. Auch die Sozialhilfe, die ja mittlerweile 50 Milliarden Mark jährlich kostet, muß zielgenauer sein. Es geht darum, allen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen. Und es ist ja nicht so, daß in der Regel die Ärmsten von diesen Leistungen profitieren, sondern oft auch diejenigen, die nicht bedürftig sind.

Angedacht ist von Gesundheitsminister Seehofer unter anderem eine stärkere Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfängern in das Berufsleben. Damit einher geht letztlich aber der verordnete Zwang zur Arbeitsaufnahme.

Das ist verkürzt ausgedrückt. In Berlin ist schon in meiner Zeit als Sozialsenator in einem umfassenden Maße von den sozialhilferechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht worden, um arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger wieder an Arbeit heranzuführen. Wir haben in Berlin ein Stufenprogramm entwickelt, das beginnt mit gemeinnütziger Arbeit. Denjenigen, die sich bei der gemeinnützigen Arbeit besonders bewährt haben, werden dann Arbeitsverträge angeboten. Das heißt, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger werden Zug um Zug wieder an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt, Menschen, die über Jahre hinweg keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt hatten. Hier sollen auch andere Kommunen tätig werden. Dieses gesamte Instrumentarium muß jetzt genutzt und auch noch verbessert werden, zum Beispiel auch um Maßnahmen, die es heute nur im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes gibt, nämlich Fort- und Weiterbildungszuschüsse.

Gleichzeitig gibt es Menschen, die vielleicht gerne arbeiten würden, aber nicht können, zum Beispiel Alleinerziehende, die für ihr Kind keinen ganztägigen Kindergartenplatz finden.

Wer nicht arbeitsfähig ist, wird auch nicht zu einer Arbeit herangezogen, auch nicht die alleinerziehende Mutter, das ist schon nach heutigem Sozialhilferecht der Fall.

Dennoch bleibt es ja bei einem Zwang zur Arbeit; wenn jemand nicht arbeitet, drohen Sanktionen: Kürzungen der Sozialhilfe oder sogar – daran wird wohl auch gedacht – Umstellung der Sozialhilfe auf Sachleistungen.

Kürzungen der Sozialhilfe sind bereits Gegenstand des heutigen Sozialhilferechts.

Aber die Sachleistungen gibt es bisher noch nicht. Habe ich also damit zu rechnen, daß ich bald wieder Menschen mit Lebensmittelmarken begegne?

Das ist eine Überlegung, die ich jetzt nicht so in den Vordergrund stellen würde. Wichtiger ist es doch, Sozialhilfeempfänger, die arbeitsfähig sind und die ja gerne arbeiten wollen, wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen.

Letztlich ist es doch sehr populistisch, dort zu kürzen oder sogar auf Sachleistungen umzustellen, wo laut Stammtisch „arbeitsscheue Drückeberger“ die Sozialhilfe abkassieren.

Ich spreche von einem viel größeren Mißbrauch. Wenn 400.000 Menschen heute nur deshalb Sozialhilfe bekommen, weil ihre Ansprüche gegenüber dem Arbeitsamt, der Rentenversicherungsanstalt soviel Zeit brauchen, bis sie geprüft sind; daß diese Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind, das muß geändert werden.

Das sind aber doch kurzfristige Sozialhilfeleistungen, die dann, wenn das Arbeitslosengeld fließt, verrechnet werden, also auch dem Sozialamt zurückerstattet werden.

Ja, aber gleichzeitig werden Menschen Sozialhilfeempfänger, die es gar nicht werden müßten – wenn auch nur für kurze Zeit.

Im Zusammenhang mit der Sozialhilfe wird häufig auch darauf verwiesen, daß eine Familie mit drei Kindern vom Sozialamt zum Teil mehr als 3.000 Mark bekommen kann, während niedrige Einkommensgruppen bei gleichen Familienverhältnissen oft weniger Geld verdienen. Ist da das Lohnabstandsgebot noch gewahrt? Oder sollten kinderreiche Familien zukünftig tatsächlich weniger Sozialhilfe bekommen?

Das Lohnabstandsgebot ist zur Zeit gewahrt.

Die Sozialhilfe für kinderreiche Familien sollte weiterhin die Höhe haben wie bisher?

So ist es.

Die Pläne Seehofers sehen außerdem ein „Ausländerleistungsgesetz“ vor. Das heißt, der ausländische Personenkreis, der anstelle von Sozialhilfe künftig nur Sachleistungen bekommt, soll drastisch vergrößert werden. Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zu dem Vorwurf, dies sei eine rassistische Intervention Seehofers?

Dieses Thema wird zwischen den Fraktionen und der Regierungskoalition noch diskutiert. Dazu möchte ich mich nicht im Detail äußern. Das ist ja ein Extragesetz und nicht direkt Gegenstand des Sozialhilfegesetzes. Interview: Karin Flothmann

Ulf Fink ist Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Sozialhilfefragen