■ Gesetze verschärfen, Richtlinien strenger anwenden - so will Gesundheitsminister Seehofer bei der Sozialhilfe sparen. Bald weniger Geld für Kleidung, Kinderfahrräder und Kühlschränke?
: Scheibchen für Scheibchen

Gesetze verschärfen, Richtlinien strenger anwenden – so will Gesundheitsminister Seehofer bei

der Sozialhilfe sparen. Bald weniger Geld für Kleidung, Kinderfahrräder und Kühlschränke?

Scheibchen für Scheibchen

Ausländer, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger und kinderreiche Familien werden diejenigen sein, die unter den Sozialhilfeplänen von Gesundheitsminister Horst Seehofer künftig am meisten zu leiden haben. Neben den Asylsuchenden und Bürgerkriegsflüchtlingen hat Bundesgesundheitsminister Seehofer dabei vor allem die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger im Visier.

Von den 1.700.000 deutschen Leistungsempfängern gibt etwa ein Drittel „Arbeitslosigkeit“ als Bezugsgrund für die Sozialhilfe an. Bei Asylsuchenden ist die Arbeitsaufnahme gesetzlich erschwert. Für die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger will Seehofer künftig den Druck, aber auch die Chance zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Nach einem Bericht des Handelsblatts sollen sich die Sozialämter künftig der Logistik der Arbeitsämter bedienen dürfen, um Leistungsempfängern Jobs zu verschaffen. Sowohl die Qualifizierungsmaßnahmen als auch die Lohnkostenzuschüsse der Arbeitsämter sollen künftig allen Sozialhilfeempfängern zur Verfügung stehen. Die Kommunen sollen die Kosten für diese Beschäftigungsförderung übernehmen.

Eigene Erwerbseinkünfte der Sozialhilfeempfänger sollen im ersten halben Jahr der Beschäftigungsaufnahme nicht mehr so weitgehend auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Bisher können Sozialhilfeempfänger nur 130 Mark anrechnungsfrei hinzuverdienen, bei einem Erwerbseinkommen von 1.000 Mark werden lediglich 240 Mark nicht abgezogen.

Mit den von Seehofer gewollten besseren Chancen zur Beschäftigungsaufnahme für Sozialhilfeempfänger geht einher, daß man die vermeintlich Arbeitsunwilligen künftig strenger aussieben will. Wer sich weigert, eine „zumutbare“ Arbeit anzunehmen, soll die Sozialhilfe künftig nicht mehr in Geld-, sondern in Sachleistungen erhalten, sehen die Seehofer-Pläne vor.

Bisher kann Sozialhilfeempfängern die Leistung schon um 20 Prozent gekürzt oder ganz versagt werden, wenn sie einen angebotenen Job nicht annehmen. In vielen Kommunen müssen die Leistungsempfänger inzwischen nachweisen, daß sie sich selbst um Arbeit bemühen. In Berlin beispielsweise wird verlangt, daß Sozialhilfeempfänger im Schnitt bei 20 bis 60 Arbeitgebern im Monat vorsprechen oder sich bewerben müssen.

Da der Nachweis der „Arbeitsunwilligkeit“ schwer zu führen ist, kann allerdings nur in seltenen Fällen die Sozialhilfe gekürzt werden. Anders sieht es aus, wenn den Sozialhilfeempfängern öffentlich finanzierte gemeinnützige Arbeiten „angeboten“ werden. In Offenbach wurden so vor einiger Zeit 20 kinderlose Leistungsempfänger, die nicht zur gemeinnützigen Tätigkeit erschienen waren, aus der Sozialhilfe gekippt.

Kritischster Punkt bei den Seehofer-Plänen dürfte die Frage des Lohnabstandsgebots sein. Im Hause Seehofer wird derzeit gerechnet, ob die Sozialhilfesätze sinnvollerweise 10, 15 oder 20 Prozent unter den unteren Lohngruppen liegen sollen. Abgesehen von genauen Prozentzahlen kann sich der Gesundheitsminister dabei schon auf bestehende Gesetze stützen: nach Paragraph 22, Absatz 3 des Sozialhilfegesetzes, müssen die Regelsätze in ihrem jeweiligen Geltungsbereich zusammen mit den Durchschnittsbeiträgen für Unterkunft und Heizung „unter den jeweils erzielten monatlichen durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelten unterer Lohn- und Gehaltsgruppen“ bleiben.

Nach einem Gutachten des Otto-Blume-Instituts in Köln aus dem Jahre 1993 wird dieses Lohnabstandsgebot auch erfüllt. In Einzelfällen, besonders in Ostdeutschland und bei kinderreichen Familien, könne es aber zu „Überschneidungen“ kommen, urteilten die Gutachter. Wer weniger als den Sozialhilfesatz verdient, kann die sogenannte „ergänzende Sozialhilfe“ bei unzureichendem Erwerbseinkommen beantragen. Dies tun aber nur etwa sechs Prozent der Empfänger.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums liegt die durchschnittliche Sozialhilfe einschließlich Wohngeld für eine Familie mit drei Kindern bei 3.249 Mark monatlich und damit über dem verfügbaren Nettoeinkommen unterer Lohngruppen. Wenn Seehofer das „Lohnabstandsgebot“ in seinem Sinne einhalten will, müßte er also gerade bei der Leistung für kinderreiche Familien ansetzen. Der Minister erwägt, dazu die einmaligen Hilfen, etwa für Kleidung, zu pauschalieren und in die Regelsätze einzurechnen. Laut Statistik bekommt beispielsweise eine vierköpfige Familie 2.777 Mark Sozialhilfe, davon 883 Mark für Miete und Heizung und 288 Mark für einmalige Leistungen.

Eine tatsächliche Verknüpfung der Sozialhilfe mit den Löhnen sei allerdings verfassungsrechtlich kaum durchzusetzen, sagt Andrea Fischer, die sozialpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen. Zum einen ist ein unterer Durchschnittslohn statistisch kaum zu ermitteln. Vor allem aber ist der Gesetzgeber nach dem Bedarfsdeckungsprinzip verpflichtet, den nötigen Lebensunterhalt auch zu gewähren – koste es, was es wolle.

Eine fünfköpfige Familie beispielsweise, die nur eine Wohnung für 1.200 Mark Miete findet und von Sozialhilfe lebt, liegt dann insgesamt vielleicht über dem Einkommen der untersten Lohngruppen. Mangels Wohnalternativen gibt es hier aber auch keine Möglichkeit, die Unterkunftskosten zu drücken. Es sei denn, die Mieten würden nicht mehr vom Sozialamt pauschal übernommen. Solange die Unterkunftskosten jedoch getragen werden, dürften sich pauschale Lohnabstandsgebote nur schwer durchsetzen lassen. Barbara Dribbusch